Die historischen Romane
allem bereit, warum also nicht auch zum Baryton? So beschloss ich, sie zu verführen. Ich pries die Uniform der Musikanten vor ihnen, ich nahm sie mit zu den Auftritten, ich versprach ihnen amouröse Erfolge bei den Töchtern Mariens ... Sie gingen ins Netz. Ich verbrachte die Tage mit ihnen im kleinen Theater, mit einem langen dünnen Rohrstock, wie ich ihn in den Illustrationen der frommen Bändchen über die Missionare gesehen hatte, und gab ihnen kleine Schläge auf die Finger, wenn sie eine Note falsch spielten – das Baryton hat nur drei Ventile, man bewegt die drei mittleren Finger, aber ansonsten ist alles eine Frage des richtigen Ansatzes, wie ich schon sagte. Nun, ich will euch nicht länger hinhalten, meine lieben kleinen Zuhörer: Es kam der Tag, da ich Don Tico zwei Barytonisten präsentieren konnte, sie waren nicht gerade perfekt, aber zumindest beim ersten Vorspiel, das wir an end- und schlaflosen Nachmittagen eingeübt hatten, waren sie akzeptabel. Don Tico nahm sie, steckte sie in die Uniform und gab mir die Trompete. Und noch in derselben Woche, beim Fest der Maria Ausiliatrice, zur Eröffnung der Theatersaison mit dem Stück Der kleine Pariser , vor geschlossenem Vorhang und vor den versammelten Autoritäten der Stadt, stand ich auf und spielte den Anfang von Buon Principio. «
»Phantastisch!« rief Lorenza, das Gesicht ostentativ überströmt von zärtlicher Eifersucht. »Und Cecilia?«
»War nicht da. Vielleicht war sie krank, was weiß ich? Sie war nicht da.«
Belbo sah auf und ließ den Blick über sein Publikum schweifen, denn jetzt fühlte er sich als Barde – oder als Gaukler. Er kalkulierte die Pause, dann fuhr er fort: »Zwei Tage später ließ Don Tico mich rufen und eröffnete mir, dass Annibale Cantalamessa und Pio Bo den ganzen Abend ruiniert hätten. Sie hätten das Tempo nicht halten können, sie hätten sich in den Pausen mit Witzchen und Mätzchen zerstreut und danach den Einsatz verpasst. ›Das Baryton‹, sagte Don Tico, ›ist das Rückgrat der Blaskapelle, es ist ihr rhythmisches Gewissen, ihre Seele. Die Kapelle ist wie eine Herde, die Instrumente sind die Schafe, der Kapellmeister ist der Hirte, aber das Baryton ist der treue, knurrende Hund, der die Schafe zusammenhält. Der Kapellmeister schaut vor allem zum Baryton, und wenn ihm das Baryton folgt, dann folgen ihm auch die Schafe. Jacopo, mein Junge, ich muss dich um ein großes Opfer bitten, du musst wieder ans Baryton, zusammen mit diesen beiden. Du hast Sinn für Rhythmus, du musst sie mir zusammenhalten. Ich schwöre dir, sobald sie selbständig werden, kannst du wieder Trompete spielen.‹ Ich verdankte Don Tico alles. Ich sagte ja. Und beim nächsten Fest standen die Trompeter wieder auf und spielten den Anfang von Buon Principio vor Cecilia, die wieder vorn in der ersten Reihe saß. Ich war im Dunkeln, ein Baryton unter Barytonen. Was die beiden Esel betraf, sie wurden nie selbständig. Ich kam nicht wieder an die Trompete. Der Krieg war vorbei, wir zogen zurück in die Stadt, ich gab die Blechblasinstrumente auf, und von Cecilia wusste ich nicht mal – und erfuhr ich auch nie – den Nachnamen.«
»Mein armer Schatz«, sagte Lorenza und umarmte ihn von hinten. »Aber ich bin dir doch geblieben.«
»Ich dachte, du magst Saxophone«, sagte Belbo. Drehte dann leicht den Kopf und küsste sie auf die Hand. Und wurde wieder ernst. »An die Arbeit! Wir haben eine Geschichte der Zukunft zu machen, nicht eine Chronik der verlorenen Zeit.«
Am Abend feierten wir dann die Aufhebung des Alkoholverbots. Belbo schien seine elegische Stimmung vergessen zu haben und maß sich mit Diotallevi. Sie dachten sich absurde Maschinen aus, um bei jedem Schritt zu entdecken, dass sie schon erfunden waren. Um Mitternacht, nach einem erfüllten Arbeitstag, beschlossen wir alle auszuprobieren, was man empfindet, wenn man in den Hügeln schläft.
Ich ging in mein Zimmer und kroch in die klammen Laken, die noch feuchter waren als am Nachmittag. Belbo hatte uns mit Nachdruck geraten, rechtzeitig den »Priester« reinzutun, einen Bettwärmer in Gestalt eines Topfes voll Glut, den man in einem ovalen Drahtgestell unter die Decke schiebt – und sicher hatte er es getan, um uns die Freuden des Landlebens voll genießen zu lassen. Doch wenn die Feuchtigkeit latent ist, macht der Priester sie manifest: man spürt eine köstliche Wärme, aber die Laken fühlen sich an wie aus dem Wasser gezogen. Nun ja. Ich knipste eine Stehlampe an, so eine
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