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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Weltkrieg mitgemacht hatte, war: besser im Torbogen bleiben.«
    »Ein Ort voll süßer Erinnerungen, das hier«, bemerkte Diotallevi.
    »Du wirst es nicht glauben«, sagte Belbo, »aber sie sind wirklich sehr süß. Und sie sind das einzige Wahre, an das ich mich erinnere.«
    Die anderen begriffen nicht, was er meinte, ich ahnte es – und jetzt weiß ich's. Besonders in jenen Monaten, als wir in den Lügen der Diaboliker schwammen, und nachdem er jahrelang seine Enttäuschung in romanhafte Lügen gekleidet hatte, erschienen ihm die Tage von *** in der Erinnerung wie eine Welt, in der alles klar und eindeutig ist, eine Kugel war eine Kugel, entweder sie ging daneben oder sie traf, und die beiden Seiten hoben sich klar voneinander ab, gekennzeichnet durch ihre Farben, Rot und Schwarz oder Khaki und Graugrün, ohne Zweideutigkeiten – zumindest schien es ihm damals so. Ein Toter war ein Toter war ein Toter war ein Toter. Nicht wie der Oberst Ardenti, der bloß irgendwie verschwunden war. Ich dachte, vielleicht sollte ich ihm von der Synarchie erzählen, die schon in jenen Kriegsjahren umging. War es nicht synarchisch gewesen, wie Onkel Carlo und Terzi einander begegnet waren, als Gegner auf entgegengesetzten Fronten, doch beide erfüllt vom selben Ritterideal? Aber warum sollte ich ihm sein Combray nehmen? Seine Erinnerungen waren süß für ihn, weil sie ihm von der einzigen Wahrheit sprachen, die er je gekannt hatte, und die Zweifel waren erst später gekommen. Nur dass er – er selber hatte es mir zu verstehen gegeben – sogar in den Tagen der Wahrheit bloß zugeschaut hatte. Er betrachtete in der Rückschau die Zeit, als er die Geburt des Gedächtnisses anderer beobachtet hatte, die Geburt der Geschichte und all der vielen Geschichten, die andere dann schreiben würden.
    Oder hatte es doch einen Moment der Größe und der Entscheidung gegeben? Denn nun sagte er: »Und dann vollbrachte ich an jenem Tag die Heldentat meines Lebens.«
    »O mein John Wayne!« rief Lorenza. »Erzähl!«
    »Och, es war nichts Besonderes. Nachdem wir in den andern Flügel rübergekrochen waren, versteifte ich mich darauf, im Flur stehenzubleiben. Das Fenster war am Ende, wir waren im ersten Stock, hier kann mich niemand treffen, sagte ich. Und fühlte mich wie der Kapitän, der aufrecht auf der Brücke steht, während ihm die Kugeln um die Ohren pfeifen. Dann wurde Onkel Carlo wütend, packte mich am Schlafittchen und zog mich rein, ich heulte los, weil das Vergnügen zu Ende war, und im selben Moment hörten wir drei scharfe Schläge und Scherbenklirren und eine Art Aufprall, als ob jemand draußen im Flur mit einem Tennisball spielte. Eine Kugel war durchs Fenster eingedrungen, war von einem Wasserrohr abgeprallt und hatte sich in den Boden gebohrt, genau an der Stelle, wo ich noch eben gestanden hatte. Wenn ich noch draußen gewesen wäre, hätte sie mich vielleicht gelähmt. Mindestens.«
    »O Gott, ich hätte dich nicht gerne lahm gehabt«, rief Lorenza.
    »Wer weiß, vielleicht wäre ich jetzt froh darüber«, sagte Belbo. Tatsächlich hatte er auch bei jener Gelegenheit keine Entscheidung getroffen. Er hatte sich von seinem Onkel reinziehen lassen.
     
    Ein Stündchen später schweifte er wieder ab. »Nach einer Weile ist dann Adelino Canepa nach oben gekommen. Er meinte, im Keller würden wir sicherer sein. Er und der Onkel hatten seit Jahren kein Wort miteinander gesprochen, ich hab's euch erzählt. Aber im Moment der Tragödie war Adelino wieder ein menschliches Wesen geworden, und der Onkel drückte ihm sogar die Hand. So verbrachten wir eine Stunde im Dunkeln zwischen den Fässern, in einem Geruch unzähliger Weinlesen, der uns ein bisschen zu Kopf stieg, und draußen krachten die Schüsse. Dann wurden die Salven spärlicher, das Krachen kam immer gedämpfter herauf. Wir begriffen, dass jemand auf dem Rückzug war, nur wussten wir noch nicht, wer. Bis wir dann schließlich durch ein Fensterchen über unseren Köpfen, das zu einem Feldweg rausging, eine Stimme hörten, die im Dialekt sagte: ›Monssu, i'è d'la repubblica bele si? ‹«
    »Was heißt das?« fragte Lorenza.
    »Na ungefähr: ›Mein Herr, würden Sie bitte die Freundlichkeit haben, mir zu sagen, ob wir uns hier noch in den Gefilden der Repubblica Sociale Italiana befinden?‹ In jenen Zeiten, müsst ihr wissen, war repubblica ein hässliches Wort. Ein Partisan hatte einen Passanten gefragt, oder jemanden, der zum Fenster raussah, und folglich war der Feldweg

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