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Die Hochlandhexe Ein Kind der Sünde (German Edition)

Die Hochlandhexe Ein Kind der Sünde (German Edition)

Titel: Die Hochlandhexe Ein Kind der Sünde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Scott
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Schurke hat mir meine Tochter geraubt und entehrt, und ich kann es nicht über mich gewinnen, ein ob noch so unschuldiges Wesen vor Augen zu haben, dessen Anblick mich stets an Haß und Schande erinnert. Behaltet das arme Kind bei Euch und bildet es zu Euerm eigenen Berufe heran. Nur tragt dafür Sorge, daß der Knabe nicht über eine Stellung – wie Ihr sie so würdig einnehmt – oder über eine andre gleichwertige Stellung hinaus will. Die Mittel, um einen Pächter, Rechtsgelehrten oder Arzt aus ihm zu machen, oder ihn zu sonst welchem andern zurückgezogenen Stande heranzubilden, werden aufs freigiebigste ausgehändigt werden. Ich muß jedoch den Knaben und Euch davor warnen, Ansprüche an mich zu stellen, die mich veranlassen könnten, jede weitere Unterstützung abzuschlagen. Ich habe Euch nun hiermit meine Ansicht und meine Absichten mitgeteilt und erwarte, daß Ihr Euch danach richten werdet.«
    Der Empfang dieses Briefes bewog den Doktor, mit dem Knaben zu sprechen und ihn selber zu fragen, für welchen der ihm freistehenden Berufe er sich entscheide. Er war zugleich überzeugt, daß der Knabe die Wahl dem Urteil seines Pflegevaters anheimstellen werde.
    Vorher jedoch hatte er die unangenehme Pflicht, Richard Middlemas in die geheimnisvollen Umstände seiner Geburt einzuweihen. Er war nämlich der Meinung, der Knabe wisse nichts davon, weil er selber nie mit ihm darüber gesprochen hatte, sondern ihn stets in dem Glauben erzogen hatte, er sei das Waisenkind einer entfernten Verwandten.
    Was aber der Doktor unterlassen hatte, das hatte die geschwätzige Amme getan. Von früher Jugend an war dem Kinde von der Amme der Kopf mit allerlei Märchen und Sagen verdreht worden, und das redselige Weib hatte dabei vor allem nicht jene Legende vergessen, die sie die entsetzliche Zeit seiner Geburt betitelte. – Da wurde denn nun alles in das grellste Licht gesetzt: die Persönlichkeit seines Vater, – der ganz so ausgesehen hätte, als ob die ganze Welt ihm zu Füßen gelegen hätte, – die Schönheit seiner Mutter und die schreckliche schwarze Maske, die sie getragen habe – ihre Augen, die wie Diamanten gefunkelt hätten, und die Diamanten, die sie am Finger gehabt hätte und die mit nichts zu vergleichen gewesen wären als mit ihren Augen – ihr zarter Teint und die Farbe ihres seidenen Mantels – und allerlei derartiges Geschwätz.
    Dann sprach sie weitläufig von der Ankunft seines Großvaters und des furchtbaren, mit Pistolen und Schwert bewaffneten Mannes – dann über die Entführung seiner Mutter, wobei die Banknoten im Hause herumflogen wie Fetzen Löschpapiers und es Goldguineen hagelte wie Kieselsteine.
    Das alles erzählte die Amme, teils um die Teilnahme des Knaben zu wecken, teils um ihr eignes Gelüst nach Übertreibung zu befriedigen. Der tatsächliche Vorgang – so geheimnisvoll er auch an sich war – wurde zu einem Nichts vor der Darstellung der Amme und nahm sich aus wie die demütigste Prosa gegenüber dem kühnsten Fluge der Poesie.
    Das alles war Musik für Richards Ohr. Er malte sich mit wahrer Wonne aus, daß eines Tages sein tapferer Vater unerwartet an der Spitze eines tapfern Regimentes mit klingendem Spiel und fliegenden Standarten einziehen werde, um seinen Sohn auf dem schönsten Pferde, das Menschenaugen je erschaut hätten, wegzuführen. Oder seine Mutter, schön wie der Tag, werde plötzlich in einer Kalesche mit sechs Pferden erscheinen und ihr geliebtes Kind abholen. Oder sein reicher Großvater werde mit den Taschen voll Banknoten ankommen und seinen Enkel mit Reichtümern überhäufen.
    Kurz, während der gute Doktor Gray sich einbildete, sein Pflegekind wisse nichts von seiner Herkunft, dachte Richard nur noch daran, wann und in welcher Weise er eines Tages wohl aus dem beschränkten Dunkel seines jetzigen Lebens emporgehoben und in eine Stellung gelangen würde, auf die er seiner Meinung nach durch seine Geburt ein Anrecht hatte.

Viertes Kapitel.
    Solche Empfindungen beseelten den jungen Mann, als eines Tages der Doktor nach Tisch die große lederne Brieftasche hervorholte, in welcher er seine wichtigen Dokumente aufbewahrte. Er nahm das Schreiben Moncadas heraus und bat Richard, ihm aufmerksam zuzuhören, denn er habe ihm betreffs seiner eigenen Person mehreres mitzuteilen, was von größter Bedeutung für ihn sei.
    Richards Augen funkelten, endlich war die Stunde der Erklärung gekommen. Auf seiner breiten, gut geformten Stirn füllten die Adern sich mit Blut – er

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