Die Hoehle der Traenen
Gorham lernten und das bedeutete: »Kommt zu mir!«.
Drei Pferde auf der Koppel warfen den Kopf hoch, wieherten und kamen im Galopp zu ihr geprescht. Brambles Herz vollführte einen Freudensprung – sie war überzeugt, wenigstens eines von ihnen wiederzuerkennen. Es war ein Nachfahre des Hengstes Acton und der Stute Silver Shoes – eine großartige Linie, doch das Füllen war so wild gewesen, dass sein Besitzer es hatte kastrieren lassen. Er würde schnell sein. Bei ihm standen zwei Stuten, eine Braune und eine Füchsin, die hinter den anderen zurückfiel.
Sie nahm das Sattel- und Zaumzeug von ihren anderen
Pferden und machte sie mit beruhigenden Klapsen los. Sie freuten sich darauf, zu grasen, und zogen los, um den anderen auf der Wiese zu begegnen, die sich gerade mit jener den Pferden eigenen unstillbaren Neugier auf sie zudrängten.
Sie sattelte den Wallach, legte den Braunen an einen Führzügel und ritt dann los. Dabei fragte sie sich, warum niemand aus dem Gestüt herausgekommen war, als die Pferde gewiehert hatten. Hatten sie zu viel Angst davor, Geistern zu begegnen?
Während sie der flachen Straße folgten, behielt sie mit dem Wallach einen gleichmäßigen Galopp bei. Das war nicht schlecht, und die Stute konnte mithalten. Aber konnten sie auch springen? Wenn sie querfeldein reiten könnte, würde das viel, viel schneller gehen.
Auf diesem Abschnitt gab es neben der Straße überall Holzzäune – perfekt. Sie lenkte den Wallach auf einen davon zu, und er segelte hinüber, während ihm die Stute bereitwillig folgte.
Das Jagdrennen war schon immer Brambles große Leidenschaft gewesen, das Einzige, das sie in Begeisterung versetzen konnte, die Geschwindigkeit, die Freiheit, der dröhnende, wie ein Traum vorbeihuschende, bebende Boden. Auf dem Rotschimmel hatte sie bei Jagdrennen jedes Gefühl ihrer getrennten Ichs verloren; sie waren ein Wesen geworden, hatten wie eines gehandelt, und ihre Hochstimmung war die seine und seine die ihre.
Mit diesen Pferden war es zwar nicht so, aber trotzdem wunderschön. Im hellen Licht des Morgens preschten die drei voran, über Feld und Fluss, über Mauern und Gräben, über Hecken und Zäune, und bei jedem Sprung lachte Bramble. Sie rasten wie ein Pfeil auf Turvite zu, wobei ihr Orientierungssinn sie in einer direkten Linie dorthin führte, ganz gleich welches Hindernis ihnen im Weg stand. Große
Flüsse gab es auf dem Weg nicht, und nichts, über das sie nicht hätten springen können.
Sie galoppierten und sprangen, wobei Bramble alle paar Stunden das Pferd wechselte, bis die Sonne unterging und sie eine Ruhepause einlegen mussten.
Mit diesen Pferden würde sie am nächsten Abend in Turvite sein.
Martine
Da sie nichts anderes zu tun hatte, kehrte Martine zu der Versammlung der Steinedeuter zurück. Sie hatte Sorn und Safred beim Abendessen zurückgelassen, sie selbst verspürte keinen Hunger. Flax und Zel. Sie hatte den Jungen erst sehr kurze Zeit gekannt, doch er war so süß gewesen wie frischer Most. Erneut fragte sie sich, wo Ash war und warum er Flax hatte allein losziehen lassen.
Zel hatte Recht mit ihrem Zorn auf ihn, doch mit Sicherheit hatte Ash einen guten Grund gehabt. Safred glaubte nicht, dass er tot war, wusste es jedoch nicht mit Bestimmtheit. Offenbar äußerten sich die Götter zurückhaltend. Martine spürte, wie Ärger in ihr aufstieg. Vermutlich sollte sie dankbar dafür sein, dass sie überhaupt eingriffen, aber ihr mangelndes Interesse an einzelnen Menschen zerrte an ihren Nerven. Das Feuer sah einen wenigstens – die einzelne Frau, den eigentlichen Menschen. Das Feuer kannte jede mit Namen, kannte mehr als nur den Namen … doch es war jetzt keine Hilfe.
Die Steinedeuter befanden sich in der großen Halle. Ranny war bemüht, sie vom Podest des Bürgermeisters aus zu organisieren. Es war, als wolle man einen Sack Flöhe hüten. Sie besprachen sich miteinander, wobei einige von ihnen auf dem Boden saßen und Steine warfen; andere stritten über den richtigen Bann. Es waren nur etwa zwanzig, doch
sie veranstalteten einen Heidenlärm. Als Martine hereintrat, verstummten sie und schauten sie an, Ranny den Rücken zukehrend. Das war wieder etwas, was Ranny in Wut versetzen würde. Martine war überrascht von der Ehrerbietung, die ihr alle entgegenbrachten. Sicher, sie war eine gute Steinedeuterin, aber sie hatte nie behauptet, besser zu sein als jemand anders. Die meisten von ihnen kannte sie … Ihr fiel auf, dass sie alle das eine oder
Weitere Kostenlose Bücher