Die Hoehle der Traenen
es schon vermutet hatte. Sie war so schmächtig, dass er selbst sich kräftig fühlte, und er beschloss, sie in die hinteren Reihen zu schicken, sobald der Kampf begann.
»Warum sollte ich?«, fragte sie. »Ich will gegen die blonden Bastarde kämpfen.«
»Das verstehe ich. Aber es ist besser, wenn die Geister ihre Waffen schwingen können, ohne sich darüber Sorgen machen zu müssen, einen lebendigen Verbündeten zu treffen.« Er senkte die Stimme und beugte sich vertraulich zu ihr vor. Ihr Geruch lag ihm plötzlich warm in der Nase und ließ ihn schwindelig werden. »Es sind keine ausgebildeten Soldaten, weißt du, und sie verletzen sich ständig selbst!«« Überrascht
sah sie ihn an, woraufhin er leise kicherte. »Bei ihnen macht das natürlich nichts. Aber bei dir …« Er schüttelte gebieterisch den Kopf. »Es würde unseren Kampf behindern, und das darf nicht geschehen.«
Sie starrte ärgerlich auf ihr Schuhwerk. Vom langen Reisen waren ihre Stiefel abgewetzt und verschlissen. Er würde einen Flickschuster für sie auftreiben, ein neues Paar für sie in Auftrag geben. All seine Leute würden neue Stiefel bekommen, fügte er in Gedanken hastig hinzu. Nicht nur sie.
In den Außenbezirken von Turvite zogen sie durch ein verlassenes Dorf.
»Ist das Sanctuary?«, fragte Zel, während sie sich angestrengt umschaute.
»Ja«, antwortete Saker. »Sie haben sich alle in die Stadt zurückgezogen, aber das wird ihnen auch nichts nützen.«
Zel zog die Stirn in Falten und machte auf dem langen Anstieg den Hügel hinauf zur Stadt eine finstere Miene. Er bemühte sich, sie wieder in eine Unterhaltung zu verwickeln, aber sie antwortete ihm geistesabwesend, woraufhin er es aufgab. Sie sah jedoch häufig zu ihm herüber, und daraus schöpfte er Mut, auch wenn sie nie lächelte, sondern anschließend ihren Blick bloß auf die Geister und die vor ihnen liegende Stadt richtete. Es war nur natürlich, dass sie Angst hatte, und das sagte er ihr auch.
»Angst nicht, mein Lieber«, sagte sie.
»Was dann?«
Als sie zu ihm aufschaute, standen ihr die Tränen in den Augen. »Es ist bloß die Vergangenheit, die zurückkommt und an mir nagt«, sagte sie. »Ich werde sterben. Das wusste ich schon, als ich das mit Flax erfuhr. Und ich dachte mir, wenn ich schon sterben muss, dann will ich lieber im gemeinsamen Kampf mit den Meinen sterben.«
»Du wirst nicht sterben!«, protestierte er. »Ich werde auf dich aufpassen.«
»Du wirst genug damit zu tun haben, auf dich selbst aufzupassen. Meinst du, sie lassen euch einfach hereinspazieren?«
»Mich können sie nicht aufhalten! Uns!«, erwiderte er. »Wir sind unbesiegbar!«
Sie lächelte ihn an. Es war das Lächeln, das eine Mutter ihrem kleinen Kind schenkt, das gerade etwas Dummes gesagt hat.
»Es gibt niemand auf der Welt, der unbesiegbar wäre«, erwiderte sie. »Nicht in dieser Welt und nicht in der nächsten. Tut mir leid.«
Mehr sagte sie nicht.
Als sie an den Häusern und Gemüsegärten vorbeikamen, welche die Stadt umgaben, sah Saker, dass die Straße blockiert worden war. Im Gegensatz zu Sendat handelte es sich allerdings nicht um gemauerte Befestigungen. Das hier war lediglich eine bunt zusammengewürfelte Ansammlung von Karren, Fässern und Brettern. Niemand hielt Wache. Allerdings sah Saker hier und da Gesichter aus den Fenstern der nahegelegenen Häuser herausschauen. Es war nervtötend. Als er näher kam, nahm er das Gesumme von Zauber wahr, das durch die Barrikade lief.
Es kam ihm irgendwie bekannt vor, doch er konnte es nicht einordnen. Er ließ seine Armee hundert Meter vor der Barrikade anhalten und stieg vom Wagen. Owl, sein Vater und Oak sahen ihn mit fragenden Augen an.
»Auf den Barrikaden liegt ein Bann«, informierte er sie. »Ich weiß nicht, welcher es ist, aber ich will nicht, dass unsere lebenden Verbündeten ihm nahe kommen. Wir müssen sie stürmen und dann weitersehen.«
Owl nickte und hob seine Streitaxt. Weitere Waffen hatte er sich umgehängt, Messer und einen kurzen Knüppel.
Oak trat vor. »Bist du sicher, dass du die Geister gegen einen Bann anstürmen lassen willst?«, fragte er, woraufhin Alder heftig nickte, als teile er Oaks Bedenken.
»Diese Art von Bann ist es nicht«, sagte Saker. Davon war er überzeugt. »Glaubt mir. Er fühlt sich ganz anders an als ein Zerstörungsbann.« Er schaute zu seinem Vater, der nach wie vor ein finsteres Gesicht machte. Das ärgerte ihn, und er fügte mit schärferem Ton in seiner Stimme hinzu:
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