Die Hoehle der Traenen
Vater drängte sie ungeduldig beiseite, und Owl folgte ihnen. Sie stiegen bis zum höchsten Punkt hinauf, blieben dort stehen und sahen auf die Stadt hinab.
Als Saker sich abwandte und sich an den Wasserlauf setzte, folgte ihm Zel. Dass sein Vater Turvite so sah wie er selbst, nämlich als Juwel und Geschenk für seine Leute, als Symbol für alles, was sie verloren hatten, glaubte Saker nicht. Vermutlich wollte sein Vater es bloß mit Mann und Maus vernichten.
Sie brauchten mehr Geister. Das war die Lösung. Fast hätte es mit denjenigen, die gerade erweckt worden waren, ausgereicht. Aber um mehr zu bekommen … mussten Wanderer sterben. Oder er musste weitere Knochen finden.
Er erklärte Zel das Problem, erleichtert darüber, jemanden zu haben, mit dem er sprechen konnte, jemand, dem er sich mitteilen konnte. »Bräuchte ich doch nur die Knochen nicht!«, klagte er verzweifelt.
Sie tätschelte seine auf dem Gras ruhende Hand, und er errötete. Rasch drehte er seine Hand um, sodass sich ihre in seine Handfläche schmiegte, und er schlang seine Finger um die ihren. Es war das erste Mal in seiner Erinnerung, dass er eine Berührung durch einen Menschen angenehm fand. Es war so anders als die vielen Male, als er eine vor Speichel feuchte und vor Aufregung steife Hand genommen hatte. Zels Hand war sanft, wenn auch rau vor Schwielen durch ihre akrobatischen Übungen.
Er lächelte sie an, und sie erwiderte sein Lächeln.
In diesem Moment legte sich eine Hand auf ihre Schulter und zog sie unsanft weg, sodass sie fast ins Wasser gefallen wäre. Es war sein Vater.
Alder packte ihn am Hemd und schüttelte ihn. Schäumend
vor Wut wies er, da er nicht brüllen und ihn beschimpfen konnte, auf Zel. Saker wusste, warum sein Vater wütend war – weil er sich einen Moment Zeit gestohlen hatte, nur einen Moment, um einfach Saker zu sein, ein Wanderer, der friedlich mit einer Wandrerin dasaß, statt mit Herz und Seele und jederzeit ihrer Sache verpflichtet zu sein.
Unverzeihlich.
Sein Vater warf ihn zu Boden und schlug ihm ins Gesicht, auf die Schultern, den Rücken, während Saker sich einigelte, um sich zu schützen.
In seiner Kindheit war er häufig verprügelt worden. Alder war dafür bekannt, eine harte Hand zu haben. Eine Familie hatte sogar jeden Kontakt mit ihm abgebrochen, weil Alder ihre Tochter wegen einer Lüge geschlagen hatte.
Vage bekam Saker mit, dass Zel sich aufrappelte, Alder beiseitezog und laut beschimpfte. Der nahm es gelassen hin, hielt jedoch inne und trat einen Schritt zurück.
Mit Mühe und vor Schmerz keuchend stemmte sich Saker auf alle viere. So viel Schmerz, sein ganzes Leben lang, von seinem Vater, von Freite …
Wut keimte in ihm auf. Ungestüme Wut, so gewaltig, dass sie ihn zu zerreißen drohte. Es war, als schwelle er überlebensgroß an, würde so riesig wie das Meer, so unermesslich wie der Himmel. Er sah rot, als ließe der Schmerz sogar seine Augen bluten. Er hätte seinen Vater mühelos töten können, indem er ihm einfach den Zauber entzog. Dann würde er ihn nie, nie wiedersehen müssen, nie wieder die Verachtung in seiner Miene, niemals … Nein! Nein, das war nicht rechtens. Das konnte nicht die Lösung sein. Seine Wut galt den Eindringlingen. Wenn sein Vater länger gelebt und gesehen hätte, wie er, Saker, erwachsen geworden war, dann hätten sie bestimmt gegenseitigen Respekt entwickelt, Verständnis …
Das alles war die Schuld der Eindringlinge. Actons Schuld. Seinetwegen lagen überall in den Domänen Menschen in flachen Gräbern und in Grabhöhlen. Die Eindringlinge mussten zerschmettert werden. Sein Vater hatte Recht. Aber die Wut … Die Wut war immer noch da, baute sich nach wie vor auf. Ihm war, als würden seine Augen aus ihren Höhlen springen; sein Herz schlug so schnell, dass er das Gefühl hatte, es würde zerspringen, und dann wäre niemand da, der ihn selbst zurückholen konnte, niemand, der seine Seele aus der Dunkelheit jenseits des Todes zurückrufen konnte … Ihm war, als brause ein Wind durch ihn und bringe ihn wieder auf die Beine.
Sein Vater wich ein wenig zurück, als Saker sich erhob. Darüber freute sich Saker, freute sich, auf dem Gesicht seines Vaters eine beunruhigte Miene zu erkennen.
Blut und Erinnerung.
Er erinnerte sich an sie alle. An alle Lieder, die Rowan ihm beigebracht hatte, an alle Namen, die er sich während des monatelangen Knochensammelns eingeprägt hatte, alle Gesichter, alle Orte, den Schmerz, den Tod … Er erinnerte sich an
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