Die Hoehle der Traenen
alles.
Blut, Erinnerung und Wut würden sie alle zurückbringen.
Er zückte sein Messer und schnitt sich wie von Sinnen in die Handfläche. Die Wut stieg an, während er schnitt und schnitt, das Blut sprudelte heraus, während er anfing sich zu drehen, damit alle Domänen davon benetzt würden, im Süden und Norden, im Westen und im Osten – alle Ecken und Winkel sollten von seinem Blut gesegnet werden.
»Erwachet, Brüder und Schwestern!«, rief er sie an. »Erwachet, ihr alle. Alle, die gestorben sind und ohne Acton nicht gestorben wären, alle, die vorzeitig und durch Unrecht gestorben sind; alle, die ermordet, wegen Actons Überfall ihres
Lebens beraubt wurden; kommt zu mir, ihr alle, meine Brüder und Schwestern, all die Toten im Zorn; alle, deren Leben kürzer war, weil die Eindringlinge über den Todespass kamen. Erwachet und kommt! Kommt! Kommt sofort! Kommt, und werdet all meiner Stärke zuteil!«
Während der Zauberspruch stärker wurde, während die Macht zunahm, kehrte das furchtbare Gejaule in seinem Kopf zurück, lauter denn je, doch er ignorierte es. Sollten die, die er getötet hatte, doch toben! Sollten sie doch hinter der Barriere des Todes gellend nach Rache rufen. Niemand würde sie zurückrufen. Es machte ihm nichts, dass ihm das Geheul schier den Schädel zu sprengen schien, er würde nicht einhalten. Er würde sie alle anrufen, seine ganze Sippe.
Wut, Schmerz und Einsamkeit brachen aus ihm heraus und verteilten sich über die Elf Domänen. Er spürte, wie sie aus ihm drangen, sich verteilten und wie Wolken vor einem Sturm über das Land gefegt wurden. Sie breiteten sich aus wie Nacht, wie Schatten, wie Sonnenlicht. So schnell wie die Dämmerung.
Er spürte, wie sie auf die nächstgelegenen Grabhöhlen trafen, spürte, wie die Geister darin sich regten. Spürte, wie sie weiter, immer weiter vordrangen wie der Flug einer Taube, gradlinig und schnell. Sie waren riesig und wurden nicht schwächer, während sie sich ausbreiteten und alle anderen Zaubersprüche vor sich her schoben. Daran war etwas, das Saker beunruhigte, aber er wusste nicht, was es war.
Das hohe Winseln in seinem Kopf pulsierte und bewegte sich, als suche derjenige, der es verursachte, eine Schwachstelle in ihm, einen Spalt, durch den sie eindringen und zurückkommen konnten, so wie seine Sippe nun zurückkam. Aber er war zu stark, zu furchtlos. Er widerstand, stieß es fort.
Dann spürte er, wie sich die ersten der gerade erweckten Geister den Hügel hinaufbewegten, schneller als jemand hätte gehen können, schneller noch als ein Jagdpferd; und nun verstummte das Gewinsel. Sie waren unsichtbar, flogen, schwammen durch Zeit und Luft, um zu ihm zu kommen. Erst als sie ihm nahe waren, formten sie sich zu sichtbaren Gestalten, benommen und fragend.
Ganz vorne stand ein junges Mädchen, die mit sicherer Vertrautheit ein Messer in der Hand hielt. Sie schaute sich um und blinzelte, dann neigte sie den Kopf zur Seite, als versuche sie, die Situation einzuschätzen. Erst taxierte sie Saker, dann Alder und Owl. Schließlich sah sie Zel und entspannte sich ein wenig, so als beruhige sie die Gegenwart einer anderen jungen Frau. Die Gruppe der Geister war eine bunte Mischung, bestand aus Jung und Alt, Männern und Frauen in Kleidung verschiedener Stilrichtung und Qualität.
Saker bemerkte, dass sein Vater ihn nun doch mit einigem Respekt ansah. Aber irgendwie bedeutete es ihm jetzt weniger. Er konnte sich nicht Alder zuwenden. Er musste hierbleiben, bis der Zauber zu Ende gebracht war.
Sie kamen in der Geschwindigkeit des Dämmerlichts. Und wenn sie erst einmal alle versammelt waren, würde sie nichts mehr aufhalten können.
Bramble
Bramble hörte Rufe von der anderen Seite des Hügels, ein rhythmisches Rufen. Ihr war, als bewegten sich die Knochen in dem Sack auf ihrer Schulter im Takt dazu. Ein entfernt vertrautes Geräusch erschallte in ihrem Kopf, das gleiche, das erklungen war, als sie Actons Geist erweckt hatte. Es war das Geräusch der Toten, die zurückgeholt wurden. Sie ließ den Sack fallen und sah halb erleichtert, halb bestürzt zu, wie Actons Geist rasch Gestalt annahm.
Es hatte den Anschein, als kämpfe er gegen etwas an, das ihn auf die Spitze des Hügels zog. Er wurde in die Richtung gezerrt, aus der die Rufe kamen. Sie streckte ihre Hand aus, um ihm zu helfen, doch diese glitt durch ihn hindurch. Also war er nun ein echter Geist. Sie trat näher an ihn heran, verzweifelt bemüht, ihm zu helfen, aber doch
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