Die Hoehle der Traenen
seines Hörvermögens schwoll an, während sie erschienen, bis er kaum noch etwas anderes vernehmen konnte.
Dann sprach er die letzten Worte in der alten Sprache, den neuen Teil des Zauberspruchs: »Blut und Erinnerung haben euch erweckt. Blut und Erinnerung nähren euch. Blut und Erinnerung sollen euch erhalten.«
Das Geräusch in Sakers Ohren verklang. Zumindest sein Vater würde ihn mühelos verstehen. Anders als bei Owl und den anderen brauchte er bei ihm die wenigen Worte der alten Sprache, die er kannte, nicht zu benutzen.
»Wir sind vor Sendat, einer großen Stadt mit der Festung eines Kriegsherrn auf der Spitze des Hügels. In der Festung
sind Waffen – Äxte, Hellebarden, Werkzeuge, die wir benutzen können, um in die Häuser zu gelangen.«
Alder nickte begeistert.
»Dies ist unser zweiter großer Angriff, Carlion haben wir schon eingenommen.« Saker war stolz, befürchtete jedoch auch ein wenig, Alder könne erbost darüber sein, dass er ausgeschlossen worden war. »Ich wollte sichergehen, dass wir auf das hier vorbereitet sind«, fügte er hinzu, als Alder ein finsteres Gesicht machte. »Das hier ist die entscheidende Schlacht, jene, die es uns ermöglichen wird, Turvite wieder einzunehmen.«
Alder machte den Eindruck, als wolle er Streit anfangen, doch Owl klopfte ihm auf den Rücken und drängte ihn aus dem Buschwald hinaus.
»Nein!«, befahl Saker. »Wartet!« Er hob die Hand, um ihnen allen Halt zu signalisieren. »Wartet, bis die Sonne aufgegangen ist.« Er wies auf die Stelle, wo sich die Sonne allmählich über die Hügel schob.
»Blut und Erinnerung!«, sagte er in der alten Sprache. »Erinnert euch an das, was ihr verloren habt.«
Alle Versammelten, ob Mann oder Frau, wandten sich feierlich der Sonne zu, Kummer und Wut im Gesicht. Das Licht kroch über die Landschaft und erreichte schließlich und endlich die Senke, auf der sie standen.
Sie verblassten nicht.
Saker spürte, dass er innerlich zitterte. Er hatte nicht wirklich daran geglaubt, dass es funktionieren würde. »Jetzt!«, sagte er zu seinem Vater, beschwingt von Erleichterung und Triumph. »Lasst uns die Festung einnehmen!«
Die Geister begriffen. Stumm erhoben sie einen Triumphgesang und erhoben ihre Waffen in die Luft. Als sie mit den Füßen stampften, bebte der Boden.
Sein Vater trat vor und umarmte ihn, das Gesicht leuchtend
vor Stolz. Saker lehnte sich an ihn und legte den Kopf an die eisige Schulter seines Vaters. Nur einen Moment, das war alles, um sich für die vor ihnen liegende Aufgabe zu stärken. Dann trat er zurück und holte Luft.
Ein Schäfer, der früh unterwegs war, sah sie kommen und rannte davon, um Alarm zu schlagen. Saker ließ ihn entkommen. Sollten die Stadtbewohner sich doch in ihren Häusern einschließen. Das machte ihnen den Weg frei für den richtigen Kampf.
Als sie im vollen Sonnenlicht die ersten Häuser erreichten, erwartete sie dort nur Stille, durchbrochen vom Weinen der Kinder hinter verschlossenen Türen. Dafür befanden sich überall Spuren von gerade erst begonnener und hastig wieder aufgegebener Arbeit – eine Spindel, an der sich ein neuer Faden aufwickelte, ein Butterfass, aus dem Rahm auf die Türstufe tropfte, ein vor dem Laden eines Schusters umgekippter Leisten mit einem halb genähten Schuh. Alle Türen waren verriegelt, alle Fenster verrammelt.
Ohne sie eines Blickes zu würdigen, schritten er und seine Leute daran vorbei. Die Straße zur Festung führte klar und deutlich direkt hinauf zum ersten Tor und der Palisade.
Über dem Haupttor befand sich ein Beobachtungsposten, eine überdachte, sich über die Mauerlinie erhebende Plattform. Saker sah, dass sich dort Offiziere versammelten und sie beobachteten. Die Männer des Kriegsherrn säumten den Mauerring, ihre Waffen in der Hand. Die morgendliche Sonne glänzte auf ihrer Rüstung und auf ihren Waffen.
Die bewaffnete Macht der Kriegsherren stand ihnen in Reih und Glied gegenüber. Jedes andere Mal hatten Actons Leute gesiegt. Jedes andere Mal hatte diese Konzentration von Bewaffnung und ausgebildeten Männern die Verteidigungslinien seiner Leute zerschlagen, und jeder Niederlage war ein Massaker gefolgt. Auch heute würde es gewiss eine
Niederlage geben, aber es würden nicht seine Leute sein, die abgeschlachtet würden. Dieses Mal nicht.
Saker stand vor dem Tor, außerhalb der Reichweite von Pfeilen, und bedeutete Owl, voranzuschreiten. Er rechnete mit Pfeilen, Rufen und Speeren vonseiten der wartenden Männer, doch es
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