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Die Hoehle der Traenen

Die Hoehle der Traenen

Titel: Die Hoehle der Traenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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Innenwände von Häusern. Ganz schön schlau, meine Mama. Sie brachte mir bei: Schiffe stehen für Turvite, Delfine für Mitchen, Weizengarben für die Städte im Norden, Blumen für Pless und Blätter für Sendat, die stehende Welle für Whitehaven, Fische für Baluchston, Töpfe und Waagen für Carlion, der Mond in all seinen Phasen für Cliffhold.

    Ich glaube nicht, dass Mama eine Frau mit Macht war, weil sie mich sonst davor gewarnt hätte, die Symbole zu vermischen.
    Das erste Mal bemerkte ich das in Baluchston. Sie war mittlerweile an der Schwindsucht gestorben, meine Schwester hatte einen Kesselflicker geheiratet, und ich ging allein auf die Wanderschaft. Ich strich gerade ein Wohnzimmer für einen Fährmann. Seine Frau war neu am Ort, kam aus Sendat, und sie wollte etwas, das sie an ihr Zuhause erinnerte, er jedoch gehörte durch und durch zum Seevolk und wollte Fische. Also malte ich beides, Herbstblätter und Fische, und währenddessen war mir komisch zu Mute, aber das schrieb ich dem Mangel an Luft in dem Raum zu. Es war, als zappelten die Fische um meine Augenwinkel herum, und als glitten die Blätter langsam nach unten – doch als ich mich umdrehte, um nachzusehen, waren sie alle an der Wand.
    Ich war fast fertig, als die Dorfsprecherin hereingerauscht kam, schnaufend und keuchend, denn sie ist eine dicke Frau, Baluchstons Sprecherin, und steinalt dazu.
    »Halt!«, sagte sie. Ich war gerade im Begriff, den letzten Fisch zu malen, und ich war verärgert und auch ein wenig verblüfft. Was ging sie es denn an, was ich malte? Ihr Haus war es doch nicht.
    »Halt«, sagte sie erneut, dieses Mal jedoch sanfter. »Mädchen, du spielst mit der Gefahr.«
    Ich starrte auf meinen Pinsel voll grauer Farbe hinab. Im ganzen Leben hatte ich noch nie etwas Ungefährlicheres gesehen. »Verrückt«, sagte ich.
    Sie lachte. »Jawohl, das kann schon sein. Aber diese beiden zu vermengen … Wenn du so weitermachst, werden die Fischer Netze mit Blättern heraufziehen, und die Fische werden in den Bäumen herumspringen.«
    »Nee«, sagte ich und lachte ebenfalls.

    »Doch«, sagte sie und meinte es ernst.
    Der See hatte sie geschickt, und das rüttelte mich nun vollends auf, denn meine Mama hatte mir ständig von diesem See erzählt und dass man sich nie gegen sie oder die Ihren wenden dürfe.
    Also übermalte ich jedes Blatt und setzte stattdessen Fische an ihre Stelle – eine andere Sorte, Forellen statt Hechte, damit der Entwurf ausgewogen blieb. Hinterher nahm mich Vi, die Sprecherin, mit zum Essen im Gasthof und sprach mit mir ein ernstes Wort.
    »Malen ist eine Art Zauber«, erklärte sie mir. »Wenn du mit Liebe malst, rufst du das an, was du malst. Und jeder Fries muss einen Kreis bilden.«
    »Ja, sie müssen ununterbrochen sein.« Ich nickte. »Deshalb müssen sie über den Türen und Fenstern verlaufen.«
    »Hast du dich nie gefragt, warum das so ist?«
    Ich dachte darüber nach. Dann zuckte ich mit den Schultern. »Ich dachte immer, es wäre bloß … eine Frage der Gestaltung.«
    Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass das Fleisch an ihren Armen schwabbelte. »Nein, Mädchen, jeder Kreis ist ein Zauber, um Wohlstand aufblühen zu lassen.«
    »Herbstblätter blühen aber nicht.«
    »Erntezeit«, sagte sie. »Vermenge sie nicht miteinander, Mädchen. Jeder Ort hat seine eigene Quelle des Wohlstandes, und sie zu vermengen, bringt Unglück.«
    Nun, ich befolgte ihren Ratschlag, weil ich keine Närrin war, und ich erinnerte mich immer noch an die Art, wie die Blätter, aus meinen Augenwinkeln heraus betrachtet, zu fallen schienen. Ich grübelte darüber nach und kam noch mehr ins Grübeln, als der Bursche, den ich wollte, ein hochaufgeschossener, bärenstarker Flickschuster, den ich in Gardea kennen gelernt hatte, nichts mit mir zu tun haben wollte. Er
war hinter einer hübschen Akrobatin her, die ihn später zu Boden warf und dann verließ, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, wie ich hörte. Aber zu der Zeit war ich schon lange nicht mehr dort, da ich es nicht ertragen konnte, zuzusehen, wie er ihr bei ihren Vorstellungen vor dem Gasthof zuschaute, ihr und ihrem Bruder, einem mageren Jungen, der wie eine Nachtigall sang.
    In jenem Sommer dachte ich viel über Macht nach und über Berufung und darüber, wie das Malen ein Weg zur Macht sein könnte. Ich überlegte und überlegte, bis sich das Überlegen in Planen verwandelte und der Plan dann endlich eine Entscheidung hervorrief.
    Damit die Macht wirken

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