Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hoehle der Traenen

Die Hoehle der Traenen

Titel: Die Hoehle der Traenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
Vom Netzwerk:
geschah nichts. Dann formte ein ansehnlicher blonder Mann, der auf dem Beobachtungsposten stand, die Hände zu einem Trichter und rief: »Zauberer! Hörst du mich?«
    Saker wechselte einen Blick mit seinem Vater und Owl. Was sollte er tun, wenn sich dieser Kriegsherr einfach ergab? Die Augen seines Vaters blickten hart. Saker wusste, was er sagen würde, nämlich genau das, was Acton gesagt hatte: » Tötet sie alle .«
    »Ich höre«, rief er zurück.
    »Hinter diesen Mauern befinden sich einhundertundsechsunddreißig Wanderer«, sagte der Kriegsherr. »Verlasst Sendat sofort, und sie überleben. Greift an, und sie sterben.«
    Wut überkam Saker. Heimtückische, mörderische Bastarde! Kommt und lebt in meiner Festung, ich werde euch Schutz gewähren, hatte er ihnen erzählt. Und sie waren gekommen, weil der Rest von ihnen in ihren Betten abgeschlachtet worden war. Er wusste, dass sein Volk vertrauensvoll mitgekommen war, mit Zuversicht und Hoffnung. Und nun sollten sie in Schlachtvieh verwandelt werden. Waren, mit denen sich Handel treiben ließ.
    Der Kriegsherr deutete hinter sich, woraufhin eine junge Frau nach vorn gebracht wurde. Sie hatte schwarzes Haar. Er legte ihr ein Messer an die Kehle und fauchte dann offenbar jemanden an, einen Offizier, der neben ihm stand und etwas gesagt hatte. Dieser andere wurde nun von Soldaten abgeführt.
    Saker sah sich um. Seine Geister starrten ihn an. Den ersten
Wortwechsel hatten sie nicht verstanden, doch das Mädchen war offensichtlich eine von ihnen, und die Bedrohung war etwas, das sie sehr wohl verstanden.
    Sie weinte und flehte schluchzend um ihr Leben. Saker schluckte heftig. Er konnte sie nicht verurteilen. Nicht eine von seinem eigenen Volk. Er senkte den Kopf so weit, dass er auf die Steine der Straße starrte.
    Plötzlich versetzte ihm Alder einen heftigen Stoß, um ihn dazu zu bewegen, wieder aufzuschauen. Saker starrte in das Gesicht seines Vaters. Es war das Gesicht aus der Kindheit, jenes, das noch den stärksten Mann der beiden Dörfer nachgeben ließ.
    Owl, der hinter ihm stand, hob seine Sense, und die Geister um ihn herum folgten seinem Beispiel.
    Saker sah sie an, nicht begreifend, wie sie verlangen konnten, weiterzumachen. Dann aber verstand er. Dies war der Moment. Falls sie jetzt kniffen, würde jeder Kriegsherr, jede Stadt ihre Leute als Geiseln nehmen. Gefangene auf ewig. Statt den Menschen des alten Bluts die Freiheit zu bringen, hätte er ihnen Sklaverei gebracht.
    Einhundertundsechsunddreißig Opfer, um sich ewige Freiheit zu erkaufen.
    Er verschloss seine Ohren gegenüber dem Schluchzen des Mädchens und starrte zu dem Kriegsherrn hinauf. »Jeder ihrer Namen wird in Erinnerung bleiben. Sie werden für die Freiheit geehrt werden, die ihr Tod gebracht hat.« Saker sah Zustimmung in den Augen seines Vaters.
    »Hast du geglaubt, ich würde es nicht tun?«, rief der Kriegsherr und schlitzte dem Mädchen mit seinem Messer die Kehle auf. Blut spritzte heraus und sprudelte in einem rot glänzenden Schwall über die Mauer.
    Owl stieß einen stummen Laut der Verzweiflung aus und stürzte dann auf das Tor zu. Alder half ihm hinauf und hinüber,
wo die Männer des Kriegsherrn erst vergeblich auf ihn einhackten und dann davonliefen.
    Saker blieb stehen und sah zu, wie seine Männer und Frauen über die Mauer kletterten, zuschlugen und töteten. Er hörte die Schreie von Actons Leuten, während das alte Blut Rache nahm.
    Doch das Mädchen auf der Mauer war verstummt.

Daisys Geschichte
    Ich war hässlich, hässlich wie ein unfeines Wort, sagte meine Großmama immer. Ich bekam die Pocken, als ich gerade erst laufen konnte, und die Narben weiteten sich zu Furchen und Löchern. Ein schlimmer Anblick. Meine Großmama war nett, aber sie sprach aus, was sie sah, und wenn meine Mutter dann sagte: »Ach, hör doch nicht auf sie, du bist wunderschön«, glaubte ich ihr nicht mehr. Wanderer besitzen nicht oft Spiegel. Die sind zu teuer, zu zerbrechlich. Aber ich schaute auf mein Spiegelbild in stillen Gewässern und erkannte darin, dass meine Großmama Recht hatte. Mein Körper war in Ordnung, aber mein Gesicht war so hässlich wie ein unfeines Wort.
    Es ärgerte mich, selbst als ich noch klein war. Meine Schwester war hübsch, hatte so hellblondes Haar, dass sie hätte vorgeben können, eine von Actons Leuten zu sein. Aber wir waren Wanderer und arm, so wie die meisten Wanderer es sind. Meine Mama war Anstreicherin, sie malte diese Muster, diese Friese um die

Weitere Kostenlose Bücher