Die Hoehle der Traenen
konnte, brauchte ich einen Ort, wo ich einen Fries malen konnte, der ununterbrochen war und für immer ungestört bleiben würde – oder zumindest so lange, bis ich in die Grabhöhlen kam. Und dieser Gedanke bescherte mir eine Idee. Die meisten Höhlen werden für die Beisetzung der Toten benutzt, aber in den Western Mountains gibt es immer noch ein paar, hoch oben, in die nur Bären und Wölfe gehen. So eine schien mir ein guter Ort, wo ich einen Zauber malen konnte.
Ich zog los, sodass ich im Sommer dort sein würde, wenn die Bären ihre Höhlen verlassen hatten. Vorbei an Spritford gelangte ich so in das Hidden Valley, wo ich vorher noch nie gewesen war, jedoch gehört hatte, dass es dort in den Talwänden Höhlen gab.
Und so war es auch. Oh, was für ein schöner Ort das ist, Hidden Valley. Ich dachte, dass ich eines Tages gerne einmal dorthin zurückkehren würde. Vielleicht sogar sesshaft werden.
Ich fand eine Höhle, die genau richtig war, mit einem niedrigen Eingang, der in einen etwa zimmergroßen Raum führte. Darin lag alter Bärenkot, aber kein frischer, sodass
ich mich daran nicht störte. Der Bär würde den Malereien nichts tun, seine glatt geriebenen Kratzstellen befanden sich allesamt unterhalb der Höhe, in der ich malen würde.
Ich nahm sowohl meine Ausrüstung als auch meine Farben mit hinauf, denn ich wusste, dass es mehr als nur einen Tag dauern würde. Sobald das erste Licht der morgendlichen Dämmerung in die Höhle fiel, machte ich mich an die Arbeit. Ich malte und malte, bis der Sonnenuntergang das Licht rot gefärbt hatte, und auch dann ließ ich den Pinsel noch feucht, damit das Bild wusste, dass ich noch nicht fertig war. Am nächsten Morgen fing ich vor der Dämmerung an, kaum dass ich die Hand vor Augen sehen konnte. Als der Abend dämmerte, war ich fertig.
Dieser Fries war ich, und ich malte ihn mit Liebe. Ich malte so, wie ich sein sollte , wie ich hätte aussehen sollen ; schöner noch als meine Schwester, mit zwei gleichen Gesichtshälften und großen Augen und weichen Lippen und sanften Hautrundungen, so wie diese Akrobatin sie hatte, aber eben ich , und ich malte es um die Höhle, bis der Fries sich über dem Eingang wieder traf. Doch die Gesichter waren nicht alle gleich, und darin lag die Macht.
Nein, sie waren alle unterschiedlich, Gesichter von der Seite und von vorn, lachende und lächelnde, ernste und spöttische, alle Ausdrücke, die mir einfielen, außer weinenden. Jedes Mal, wenn ich eines fertig stellte, spürte ich, wie sich die Macht aufbaute, spürte, wie sich in mir etwas verschob. Und als ich den letzten Pinselstrich machte, jenen letzten Strich, der das letzte Bild mit dem ersten verband, brach die Macht hervor.
Bei den Göttern, was hatte ich Schmerzen! Ich fiel schreiend zu Boden. Es fühlte sich an, als würde mir das Gesicht abgerissen und mit Vitriol verätzt. Ich hätte die Pinselstriche wieder abgewischt, war aber nicht in der Lage, aufzustehen.
Ich krümmte mich vor Schmerzen, Krämpfe durchschüttelten mich, sodass ich mich wand und zuckte wie jemand, der die Fallsucht hat.
Wenn man solche Schmerzen hat, scheinen sie ewig anzudauern, und deshalb weiß ich nicht, wie lange sie wirklich währten. Danach schlief ich ein oder war vielleicht auch bewusstlos, und das Nächste, an das ich mich erinnern kann, war der Tag. Vorsichtig stand ich auf, vermied es, mein Gesicht zu berühren, aus Angst, der Schmerz könnte zurückkehren. Jeder Knochen tat mir weh. Als ich zu dem Fries hochschaute, wusste ich nicht, ob ich weinen oder lachen oder mich übergeben sollte. Jedes dieser Bilder war hässlich. So hässlich wie ein unfeines Wort.
Dann berührte ich mein Gesicht. Keine Pockennarben waren mehr zu spüren, nicht eine einzige. Und ich fühlte mich bis ins Mark hinein anders. Wunderschön. Jawohl. Das wusste ich in diesem Moment, und ich war erfüllt von Triumph und … Ich kann dieses Gefühl nicht mit Worten beschreiben, aber es war gut.
Ich trat in das frühe Morgenlicht hinaus, und auch wenn es ein grauer, feuchter Tag war, fühlte er sich für mich an wie ein Sonnentag mit blauem Himmel. Ich war schwach wie ein Tierjunges, und es dauerte lange, lange Monate, bis ich stark genug war, um wieder auf Wanderschaft zu gehen. Ich musste in einem Gasthof arbeiten, und die Albträume von Schmerzen kamen jede Nacht wieder, aber es war mir egal, weil der Gasthof im Treppenhaus einen kleinen Spiegel hatte und ich mich sehen konnte, wenn ich mit den Nachttöpfen
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