Die Höhle in den Schwarzen Bergen
ich selbst weder große Kraft noch großen Mut besitze oder je besitzen werde.«
»Beweist du diesen Mut, indem du hier zu mir kommst?« Als Harka eben diese Frage stellte, trat Mattotaupa, den Harka schon hatte kommen sehen, zu der Gruppe herbei.
»Nein«, antwortete Harpstennah in Gegenwart des Vaters. »Das ist es nicht, womit ich meinen Mut beweisen will. Ich bin ja offen hierhergekommen; ich habe gesagt, wer ich bin, und niemand hat mich gehindert, zu dir zu gehen.«
Harka war bis dahin bei seinem Grauschimmel liegengeblieben und hatte nur den Kopf gehoben. Jetzt stand er auf. Er spürte, wie der Vater wartete, was weiter geschehen würde, und ganz fern, wie im Nebel, trat noch in sein Bewußtsein, daß Joe Brown die Szene beobachtete, allerdings ohne auch nur ein einziges Wort zu verstehen.
»Wie willst du jetzt diesen Mut beweisen, Harpstennah?« fragte Harka ruhig, und im Grunde empfand er ein tiefes Mitleid mit dem Bruder, aber es schüttelte ihn auch die verborgene Erregung über das, was er von Mattotaupas Erlebnis in den Zelten der Bärenbande durch Harpstennah zum erstenmal erfahren hatte.
»Wie ich meinen Mut beweisen will? Das sollt ihr gleich erfahren. Er, der hier steht, ist mein Vater, und du bist mein älterer Bruder. Ihr sollt es wissen. Ich habe meine Festkleider angelegt, um wie ein Tapferer zu sterben, nachdem …« Bei dem letzten Wort griff Harpstennah unter den überhängenden Rock, riß sein Messer heraus und stürzte sich auf Joe, der das Gespräch nicht verstanden hatte und auf eine solche Wendung überhaupt nicht gefaßt war. Die Spitze des Dolchmessers hatte aber das Wams des Ingenieurs noch nicht durchdrungen, als die Finger Harpstennahs sich öffneten und er lautlos umsank.
Joe Brown sprang auf und sah entsetzt von einem zum anderen. Mattotaupa stand regungslos da. Harka stieß die Klinge seines Dolches in die Erde, um sie zu reinigen, und ließ sie dann in die Scheide zurückgleiten.
»Um Himmels willen was war das?« flüsterte Joe. »Ihr hattet mit dem Knaben gesprochen! Ich hatte nicht geahnt, daß selbst solch ein Kind nur auf Mord ausgeht. Harry, du hast mir das Leben gerettet. Das vergesse ich nie.«
Harka beachtete die Worte nicht und blickte Joe überhaupt nicht an. Er nahm die Lederplane, auf der Joe gelegen hatte, legte den Toten darauf, sah noch einmal die magere kindliche Gestalt in dem Festkleid, das Uinonah bestickt hatte, auch das Gesicht, das vom Mondlicht gestreift, abgehärmt wie das eines Alten wirkte, und schlug die Lederdecke zu, so wie man sie einst auch über Harkas und Harpstennahs toter Mutter zusammengeschlagen hatte. Dieser Tote gehörte Harka; niemand durfte ihn berühren, verstümmeln oder den Hunden zum Fraß vorwerfen. In seinen Festkleidern und mit seinen Waffen sollte Harpstennah bestattet werden; er war im Kampfe gefallen. Harka ging umher, suchte vier Teile von zerbrochenen Zeltstangen und Lederschnüre zusammen, stellte die Stangenteile zwei und zwei, mit den Enden sich überkreuzend, auf und hing die Decke mit dem Toten am Kopf- und am Fußende an die Stangen, so daß sie die Erde nicht mehr berührte. Das war die Art der Dakota, Tote zu bestatten, so daß sie nicht von den Raubtieren aus der Erde gescharrt und zerfleischt werden konnten.
Harka blieb bei dem Bestatteten sitzen. Er zog die Knie an und legte die Arme darum. Das Totenlied für den jüngeren Bruder formte er nur mit den Lippen, ohne einen Laut hörbar werden zu lassen. Er sang für sich allein das Lied von den Kindern Mattotaupas, der ein großer Häuptling gewesen war. Der Geist Harpstennahs sollte versöhnt werden.
Die weißen Männer, die auf dem Dorfplatz schliefen, und die Wachen draußen hatten von den Vorgängen kaum etwas bemerkt. Es war kein Schuß gefallen, kein Schrei war ertönt. Nur die Wachen bei den Pferden hatten herübergeschaut, aber da Mattotaupa jetzt wegging und Joe niemanden anrief, schien keine Aufregung und kein Eingreifen nötig.
Joe Brown wollte sich erst eine neue Lederplane holen, aber dann unterließ er das und lief hinüber zu einem der Zelte. Es war dunkel drinnen, und als er hineinschlüpfte, rief einer ärgerlich »He?«, weil er sich im Schlummer gestört fühlte. Joe warf sich zwischen die schlafenden Männer. Es war ihm bei seinen indianischen Kundschaftern unheimlich geworden.
Als der Tag dämmerte, wurde alles wach. Die Männer gingen zum Bach, um sich zu erfrischen. Auch Mattotaupa und Harka taten das. Sie sahen einander aber nicht
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