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Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Titel: Die Höhle in den Schwarzen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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zu euch halten, aber schließlich bin ich ein Christ und bete zum Gekreuzigten, und wenn es an einen Massenmord mit Gift geht …, da müßt ihr begreifen, daß mir die Tränen kommen, denn ich hab’ sie doch alle gekannt, Joe und Henry und Bill und Charlemagne! Ach, du lieber Himmel! Der Hahnenkampfbill, von mir aus, hat nichts Besseres verdient, aber der junge Henry …«
    »Du bist ein Christ, Tom ohne Hut und ohne Schuhe. Was heißt das? Warum hast du dir diesen Mann am Marterpfahl in deinem Zelte aufgehängt, und warum stehst du immer wieder vor ihm und sprichst mit seinem Bild? Warum feiert ihr weißen Männer immer noch den Sieg über diesen Mann am Pfahl? Warum macht ihr euch immer wieder sein Bild, wie er am Pfahle hängt? Was hat er euch getan? Hat er eure Krieger getötet, eure Frauen und Kinder verhungern lassen?«
    »Ach, du Allmächtiger, nein. Er hat …«
    »Nun, was?« fragte jetzt die Stimme des alten Geheimnismannes.
    »Er hat uns Frieden und Liebe gepredigt und Brot gezaubert.«
    »Dafür habt ihr ihn ermordet?«
    »Doch nicht wir!«
    »Wer denn? Wir etwa?«
    »Nein doch. Es ist viel komplizierter. Das kann ich euch nicht so schnell erklären. Er hat sich für uns geopfert. Was ein Opfer ist, wißt ihr.«
    »Und wollt ihr nun Liebe üben und Friede wahren?«
    »Ich schon, Tschetan. Aber trotzdem wird immer wieder geschossen. Ich weiß auch nicht, wie das kommt. Es ist ein Fluch, scheint mir.«
    »Ihr werdet also weiterhin töten? Wir aber sollen uns nicht wehren?«
    »Ach Gott, ich weiß ja, daß ihr im Recht seid.«
    »Wenn du das einsiehst, so will ich dir auch sagen, daß Joe und Henry und Bill und Charlemagne nicht tot sind. Wir haben ihnen die Waffen abgenommen und die Kleider ausgezogen und ihnen gesagt, daß sie nach Hause laufen sollen, wo sie hergekommen sind.«
    »Ach, du großer … viel Spaß in der Prärie! Und die anderen?«
    »Haben wir erschossen.«
    Tom schlug die Hände vor das Gesicht. Vielleicht weinte er. Er verließ den Dorfplatz und lief schnell zu dem Zelt, aus dem er gekommen war. Von dort schien er sich zu den Pferden zu begeben, um die Wache abzulösen.
    Der alte Geheimnismann winkte Tschetan, mit ihm in das Zauberzelt zu kommen. Er wollte sich wohl genauer berichten lassen. Während der paar Schritte, die er mit dem jungen Burschen zum Zelt hin machte, fragte er noch etwas, was Mattotaupa nicht verstehen konnte, aber er verstand Tschetans Antwort, denn dieser sprach wieder laut, erregt noch von der Auseinandersetzung mit Tom.
    »Tashunka-witko und die anderen Krieger«, berichtete der junge Bursche hastig, »kommen wohl nicht vor dem Morgengrauen zurück. Dann will Tashunka sofort zu seinen eigenen Zelten im Norden aufbrechen, denn der Kampf mit den weißen Männern hier ist beendet.«
    Hawandschita und Tschetan verschwanden in dem Zauberzelt. Mattotaupa hatte den Gesprächen einiges entnommen, was für ihn selbst sehr wichtig war. Scheschoka und ihr Sohn Schonka, die Tom erwähnt hatte, waren Bewohner von Mattotaupas Zelt gewesen. Mattotaupa hatte nach dem frühen Tode seiner Frau durch die fehlgegangene Kugel aus einer Flinte der Pani die Witwe des verstorbenen Friedenshäuptlings samt ihrem Sohne Schonka in sein Zelt genommen, damit sie mit ihrem Sohne versorgt war und die Arbeit tat. Sie war also nun wieder ausgezogen und wohnte samt Schonka bei Tom. Wer jetzt Mattotaupas Zelt, seine Mutter, seine Tochter Uinonah, den noch jüngeren Harpstennah, mit Wild versorgte, davon war nicht die Rede gewesen. Aber Mattotaupas Beutestücke hingen noch an der Trophäenstange vor dem Tipi, und darum nahm er an, daß noch kein anderer Krieger hineingezogen war. Wahrscheinlich trugen verschiedene Familien zum Unterhalt von Mattotaupas Mutter und Kindern bei. Tashunka-witko wollte gegen Morgen zurückkehren und dann gleich wieder aufbrechen. Von Mattotaupa hatte Tschetan nichts berichtet, wenigstens nicht in dem Teil des Gesprächs, den der Lauscher hatte anhören können.
    Mattotaupa beschloß, in das Zelt seiner Mutter zu gehen. Vielleicht war das ein wahnsinniges Wagestück, aber dem Verbannten und Vereinsamten war am Leben nicht mehr viel gelegen; er setzte es ein, wie man in einem Spiel eine kleine Münze setzt, und es drängte ihn, seine Mutter zu sehen. Sie war die angesehenste Frau des Zeltdorfes gewesen, ruhig, würdig, klug, mit vielen Geheimnissen der Krankheiten und Wundbehandlung vertraut. Mattotaupa hatte nicht mehr mit ihr sprechen können, als er die Zelte nach dem

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