Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)
einer Geschichte, in der es überhaupt gar keine Gerechtigkeit gibt. Wenn er dem folgen wollte, musste Neil seine Rolle als Sünder akzeptieren, was kaum mehr als eine tröstliche Lüge war, aber eine Möglichkeit in Reichweite rückte, die Neils eigene moralische Ansichten nicht boten: den Glauben, dass dieses Vorgehen ihn und Sarah wieder zusammenführen würde.
Manchmal kann auch schlechter Rat einem Menschen den richtigen Weg weisen. Und so führten die Beschuldigungen seiner Schwiegereltern Neil letztendlich näher zu Gott.
Als Janice ihre frohe Botschaft verkündete hatte, wurde sie mehr als einmal gefragt, ob sie sich je gewünscht hatte, Beine zu haben, und stets hatte sie ehrlich geantwortet, dass dem nicht so sei. Sie sei zufrieden, wie sie war. Ab und zu hatte jemand das Argument vorgebracht, dass sie nicht vermissen konnte, was sie nicht kannte, und dass es ihr anders ergangen wäre, wenn sie mit Beinen geboren worden wäre und diese dann später eingebüßt hätte. Das bestritt Janice nicht. Allerdings hatte sie aufrichtig erwidern können, dass ihr keineswegs etwas fehlte und dass sie keinen Neid gegenüber Menschen mit Beinen empfand. Keine Beine zu haben, war Teil ihrer Persönlichkeit gewesen. Sie hatte nie einen Gedanken auf Prothesen verschwendet, und wenn es ein chirurgisches Verfahren gegeben hätte, um ihr Beine zu geben, hätte sie dieses abgelehnt. Die Möglichkeit, dass Gott ihr Beine schenken könnte, war ihr nie in den Sinn gekommen.
Dass sie nun Beine hatte, führte unter anderem dazu, dass ihr Männer mehr Aufmerksamkeit entgegenbrachten. Früher hatten sich meist nur Männer mit einem Fetisch für Amputierte oder solche mit einem Märtyrerkomplex für sie interessiert. Jetzt aber schienen alle möglichen Männer sie attraktiv zu finden. Als sie bemerkte, dass sich Ethan Mead für sie interessierte, dachte sie anfänglich, dass er romantische Gefühle für sie hegte, was sie ziemlich beunruhigend fand, da er offensichtlich verheiratet war.
Ethan hatte Janice bei einem Treffen der Selbsthilfegruppe angesprochen und danach begonnen, ihre Vorträge zu besuchen. Als er sie zu einem gemeinsamen Restaurantbesuch einlud, wollte sie Näheres über seine Absichten wissen, und er legte ihr seine Theorie dar. Er konnte nicht sagen, wie ihr Schicksal mit dem seinen verbunden war, er wusste nur, dass es das war.
Sie blieb zwar skeptisch, lehnte aber seine Theorie nicht vollständig ab. Ethan gestand, dass er keine Antworten auf ihre Fragen hatte, aber bestrebt war, ihr zu helfen, welche zu finden. Vorsichtig willigte Janice ein, ihm bei seiner Sinnsuche zu helfen, und er versprach, ihr nicht zur Last zu fallen. Sie verabredeten sich regelmäßig, um sich über die Bedeutung von Engelserscheinungen auszutauschen.
Inzwischen machte sich Ethans Frau Claire immer mehr Sorgen. Ethan versicherte ihr, dass er gegenüber Janice keine romantischen Gefühle hegte, was Claire jedoch keineswegs beruhigte. Ihr war klar, dass außergewöhnliche Umstände zwei Personen einander näher bringen konnten, und sie befürchtete, dass Ethans Beziehung zu Janice – sei sie nun romantisch oder nicht – ihre Ehe gefährden würde.
Ethan bot Janice an, ihr mit seiner Erfahrung als Bibliothekar zu helfen. Beide hatten noch nie davon gehört, dass Gott etwas, das er einem Menschen bei einer Erscheinung geschenkt hatte, bei einer zweiten Erscheinung wieder genommen hatte. Ethan suchte nach früheren Vorkommnissen dieser Art, in der Hoffnung, dadurch besser verstehen zu können, was Janice widerfahren war. In einigen Fällen waren Personen im Laufe ihres Lebens mehrmals Wunderheilungen beschieden worden, doch deren Krankheiten oder Behinderungen waren immer natürlichen Ursprungs gewesen und nicht Folge einer Erscheinung. Sie stießen nur auf eine unbestätigte Anekdote über einen Mann, der wegen seiner Sünden mit Blindheit geschlagen worden war, und dem, nachdem er sein Leben geändert hatte, sein Augenlicht wieder geschenkt worden war.
Selbst wenn dieser Bericht ein Fünkchen Wahrheit enthielt, stellte er keinen brauchbaren Präzedenzfall dar, denn Janices Beine waren ihr vor ihrer Geburt genommen worden, es konnte sich dabei also nicht um eine Strafe für etwas handeln, das sie getan hatte. War es möglich, dass Janices Zustand eine Strafe für etwas war, das ihre Mutter oder ihr Vater getan hatte? Und konnte es sein, dass die Wiederherstellung ihrer Beine ein Zeichen dafür war, dass ihre Eltern ihre Heilung
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