Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)
ihn zunehmend in den Wahnsinn. Es konnte durchaus sein, dass ihm das auch nach Jahrzehnten nicht gelingen würde, wenn ihm denn überhaupt so viel Zeit blieb, denn wie ihm immer wieder vor Augen geführt worden war, dienten Erscheinungen als Ermahnung, sich seelisch darauf vorzubereiten, dass der Tod einen schon im nächsten Moment ereilen mochte. Schon morgen konnte er sterben, und es bestand keine Chance, dass es ihm in absehbarer Zeit gelingen würde, auf herkömmliche Weise gläubig zu werden.
Angesichts von Neils früherer Weigerung, Janices Beispiel zu folgen, mag es paradox erscheinen, dass er aufhorchte, als sie ihre Ansichten revidierte. Er frühstückte gerade, als er eine Zeitungsmeldung über Janices Wallfahrtspläne las, und seine erste Reaktion war Wut: Wie viele Segnungen waren nötig, um diese Frau zufriedenzustellen? Nach einigem Nachdenken kam er zu dem Ergebnis, dass es, wenn Janice es für angemessen hielt, Gottes Beistand zu erbitten, um mit ihrem Schicksal zurande zu kommen, nur recht und billig wäre, wenn er selbst, an den Folgen eines Unglücks leidend, ebenso handelte. Das reichte aus, um ihn dazu zu bringen, seinen Entschluss in die Tat umzusetzen.
Heilige Stätten befanden sich ausnahmslos in unwirtlichen Gegenden, zum Beispiel mitten im Ozean auf einem Atoll oder auf gut 6000 Meter Höhe im Gebirge. Neil reiste zu einer, die in der Wüste lag, einer weiten Fläche rissiger Erde, die sich meilenweit in alle Richtungen erstreckte; zwar lag sie weitab vom Schuss, war aber noch verhältnismäßig zugänglich, weshalb diese Stätte unter Pilgern vergleichsweise beliebt war. Das Gelände um die heilige Stätte herum konnte als Anschauungsunterricht dazu dienen, was geschah, wenn sich die himmlische und die irdische Sphäre zu nahe kamen: Die Landschaft war auf vielerlei Weise von erkalteten Lavaströmen, klaffenden Rissen und Einschlagskratern gezeichnet. Vegetation war hier eine Seltenheit und überdauerte nicht lange, denn ihr Wachstum war auf den Zeitraum beschränkt, nachdem fruchtbare Erde von Flutwassern und Sturmwinden zurückgelassen und bevor sie wieder hinfortgeschwemmt oder verweht wurde.
Pilger errichteten hier überall ihr Lager und bildeten mit ihren Zelten und Wohnwägen provisorische Dörfer. Sie alle mutmaßten, wo genau die Wahrscheinlichkeit, einen Engel zu sehen, am höchsten, und wo die Gefahr, schwer oder tödlich zu verunglücken, am niedrigsten wäre. Halbrunde Wälle aus Sandsäcken, die es hier seit Jahren gab und die immer wieder ausgebessert wurden, boten ein wenig Schutz. Ortseigene Sanitäts- und Feuerwehrkräfte kümmerten sich darum, dass die wichtigsten Wege freigehalten wurden, damit Rettungsfahrzeuge im Ernstfall schnell dorthin gelangen konnten, wo sie gebraucht wurden. Die Wallfahrer brachten entweder ihr eigenes Essen und Wasser mit, oder versorgten sich bei Händlern, die unverschämt hohe Preise verlangten. Alle mussten eine Gebühr für die Abfallbeseitigung entrichten.
Lichtsucher fuhren prinzipiell Geländewagen, um besser querfeldein rasen zu können, wenn sie einem Engel folgten. Wer es sich leisten konnte, war allein unterwegs, die anderen bildeten Teams aus zwei bis vier Leuten. Neil wollte sich weder auf jemand anderen verlassen, noch als Fahrer für andere verantwortlich sein. Er hielt es für besser, seine letzte Unternehmung auf Erden alleine zu bestreiten. Sarahs Beerdigung hatte seine und ihre Ersparnisse aufgebraucht, sodass Neil seine Besitztümer verkaufte, um sich ein geeignetes Fahrzeug anzuschaffen: einen Pickup mit starkem Reifenprofil und Hochleistungsstoßdämpfern.
Kaum angekommen, tat Neil das, was auch alle anderen Lichtsucher machten: Er fuhr mit seinem Fahrzeug in der Gegend umher, um ein Gespür für die Beschaffenheit des Geländes zu bekommen. Bei einer seiner Rundfahrten traf er auf Ethan, der ihm signalisierte anzuhalten, weil sein eigener Wagen auf dem Rückweg vom achtzig Meilen entfernten nächsten Lebensmittelladen liegen geblieben war. Neil half ihm, seinen Wagen wieder zum Laufen zu bringen, und Ethan bestand darauf, dass Neil ihm anschließend zu seinem Lager folgte, und lud ihn zum Abendessen ein. Als sie eintrafen, war Janice gerade nicht da – sie besuchte andere Wallfahrer, die ein paar Zelte weiter weg wohnten. Während Ethan auf einem Propangaskocher Fertiggerichte aufwärmte, lauschte Neil höflich, wie Ethan erzählte, was ihn zu der heiligen Stätte geführt hatte.
Neil konnte seine Überraschung
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