Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)
schließlich verdient hatten? Dieser Gedanke überzeugte Janice nicht.
Eine Vision ihrer verstorbenen Verwandten hätte Janice Gewissheit über die Wiederherstellung ihrer Beine bringen können. Aber es gab keine Vision, und so vermutete sie, dass etwas nicht stimmte, obwohl sie nicht glauben mochte, dass sie bestraft worden war. Vielleicht war alles nur ein Irrtum, und ihr war ein Wunder widerfahren, das für jemand anderen bestimmt gewesen war. Vielleicht war es auch nur eine Prüfung, um herauszufinden, wie sie reagieren würde, wenn ihr zu viel zuteil wurde. Jedenfalls schien es nur einen Ausweg zu geben: Sie würde mit größtmöglicher Dankbarkeit und Demut anbieten, das Geschenk zurückzugeben. Um das zu tun, würde sie sich auf eine Wallfahrt begeben.
Wallfahrer reisten weite Strecken, um heilige Stätten aufzusuchen und dort auf eine Erscheinung zu warten, in der Hoffnung, durch ein Wunder geheilt zu werden. Während man fast überall auf der Welt ein Leben lang vergeblich auf eine Erscheinung warten konnte, dauerte es an einem heiligen Ort vielleicht nur Monate, manchmal nur Wochen. Die Pilger wussten, dass die Chancen auf eine Wunderheilung trotzdem gering waren. Von denen, die lange genug an einer heiligen Stätte ausharrten, um Zeuge einer Erscheinung zu werden, wurden die meisten dennoch nicht geheilt. Doch allein schon einen Engel gesehen zu haben, machte sie glücklicher. Gestärkt kehrten sie nach Hause zurück und traten gefasst ihrem Schicksal entgegen, gleichgültig, ob es sich dabei um ihren bevorstehenden Tod oder um das Leben mit einer Behinderung handelte. Da bei jeder Engelserscheinung unweigerlich einige Wallfahrer verunglückten, wussten die Überlebenden fürderhin ihr Leben mehr zu schätzen.
Janice war bereit zu akzeptieren, was auch immer geschehen mochte. Wenn Gott meinte, es sei für sie an der Zeit zu sterben, dann sollte es so sein. Wenn Gott ihr die Beine wieder nahm, dann würde sie wie zuvor ihrer Mission nachgehen. Und falls Gott ihr ihre Beine ließ, erhoffte sie sich eine Eingebung, damit sie mit Überzeugung von dem Wunder berichten konnte, das ihr widerfahren war.
Janice wünschte sich jedoch, dass ihre Wunderheilung rückgängig gemacht und jemand mit ihr bedacht würde, der ihrer wirklich bedurfte. Allerdings bat sie auch niemanden, sie zu begleiten, damit das Wunder, das sie rückgängig machen wollte, auf diese Person übergehen würde, denn das hielt sie für vermessen. Aber im Stillen betrachtete sie ihre Wallfahrt als Bitte im Namen derer, die Hilfe dringend nötig hatten.
Janices Entscheidung verstörte ihre Freunde und ihre Familie, denn sie hatten den Eindruck, Janice würde Gott infrage stellen. Als sich herumsprach, was sie vorhatte, erhielt sie viele Briefe von Zuhörern, die ihrer Bestürzung, Verblüffung und Bewunderung darüber Ausdruck verliehen, dass sie Willens war, solch ein Opfer zu bringen.
Ethan stand voll und ganz hinter Janices Entscheidung und war deshalb selbst ganz aufgeregt. Er verstand nun, was für eine Bedeutung Rashiels Erscheinung für ihn hatte: Für ihn war nun die Zeit gekommen zu handeln. Sein Frau Claire war vehement dagegen, dass er sich auf den Weg machte, vor allem, weil sie keine Ahnung hatte, wie lange er fortbleiben würde, und weil sie und die Kinder ihn ebenfalls brauchten. Doch auch wenn es ihn schmerzte, ohne ihre Zustimmung aufzubrechen, blieb ihm keine andere Wahl. Ethan wollte eine Pilgerfahrt antreten, und die nächste Erscheinung würde ihm offenbaren, was Gott mit ihm vorhatte.
Der Besuch bei Sarahs Eltern veranlasste Neil, noch einmal über seine Unterhaltung mit Benny Vasquez nachzudenken. Obwohl er nicht viel mit Bennys Worten anzufangen wusste, hatte ihn Bennys unerschütterlicher Glaube beeindruckt. Egal, welches Missgeschick ihm auch in Zukunft zustoßen mochte, Bennys Liebe zu Gott würde niemals wanken, und wenn er sterben sollte, würde er in den Himmel aufsteigen. Dieser Umstand lenkte Neils Aufmerksamkeit auf eine Möglichkeit, die er bisher nicht in Betracht gezogen hatte, weil sie ihm zu riskant erschien, die er aber nun, da seine Verzweiflung immer schlimmer wurde, für zweckmäßig hielt.
An jeder heiligen Stätte gab es Wallfahrer, die nicht auf der Suche nach einer Wunderheilung waren, sondern die es vielmehr zum himmlischen Licht drängte. Alle, die es geschaut hatten, kamen, wenn sie starben, in den Himmel, ganz gleich, wie egoistisch ihre Motive sein mochten. Manche wollten auf diese
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