Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)
Schädelknochen bot keinerlei Hinweis mehr darauf, dass er jemals welche gehabt hatte, da seine Wangenknochen nahtlos in seine Stirn übergingen. Das Licht, das seine Seele der Vollkommenheit so nahe gebracht hatte, wie es in der Welt der Sterblichen nur möglich war, hatte auch seinen Körper verändert. Man nahm allgemein an, dass dies darauf hindeutete, wie überflüssig eine leibliche Gestalt im Himmel war. Mit der eingeschränkten mimischen Ausdrucksfähigkeit, die ihm geblieben war, zeigte Benny der Welt stets ein glückselig verzücktes Lächeln.
Neil hoffte, Benny könne ihm etwas erzählen, das ihm dabei helfen würde, Gott zu lieben. Benny beschrieb das himmlische Licht als unendlich schön, als einen derart überwältigenden, majestätischen Anblick, dass es jeglichen Zweifel auslöschte. So klar und schlüssig, wie eins plus eins gleich zwei ergibt, war es ein unumstößlicher Beweis dafür, dass man Gott lieben sollte. Benny konnte die Wirkung des himmlischen Lichts zwar mit vielen Vergleichen beschreiben, aber leider mit seinen Worten nicht die Wirkung selbst hervorrufen. Für jene, die bereits gläubig waren, waren Bennys Beschreibungen ergreifend, aber für Neil klangen sie frustrierend undeutlich. Also suchte er anderswo Rat.
Bejahe das Mysterium, sagte der Pfarrer einer örtlichen Kirche. Wenn du Gott lieben kannst, auch wenn deine Fragen unbeantwortet bleiben, wird es zu deinem Besten sein.
Gestehe dir ein, dass du Ihn brauchst, erklärte der erfolgreiche spirituelle Ratgeber, den er gekauft hatte. Du wirst so weit sein, wenn du begriffen hast, dass Selbstgenügsamkeit eine Illusion ist.
Unterwerft euch vollständig und ohne Rückhalt Seinem Ratschlag, sagte der Fernsehprediger. Indem ihr Leid ertragt, zeigt ihr eure Liebe zu Ihm. Eure Qualen duldsam hinzunehmen ist keine Garantie für Linderung in diesem Leben, aber eure Strafen werden nur härter, wenn ihr euch Ihm widersetzt.
Für die unterschiedlichsten Menschen hat sich der eine oder andere dieser Ratschläge als sinnhaft erwiesen. Hatte jemand einen dieser Ratschläge verinnerlicht, konnte er diese Person zum wahren Glauben führen. Es ist aber nicht immer leicht, eine dieser Weisungen zu akzeptieren, und für Neil war es schlicht unmöglich.
Zuletzt wandte sich Neil an Sarahs Eltern, was deutlich machte, wie verzweifelt er war, denn seine Beziehung zu ihnen war von Beginn an angespannt gewesen. Auch wenn sie Sarah liebten, hatten sie sie oft dafür gerügt, dass sie ihren Glauben nicht energisch genug zeigte, und es hatte sie bestürzt, dass Sarah einen Mann geheiratet hatte, der überhaupt nicht gläubig war. Sarah wiederum hielt ihre Eltern für zu voreingenommen, und dass sie Neil ablehnten, bestätigte sie nur in ihrer Ansicht. Nun hatte Neil das Gefühl, dass ihn etwas mit Sarahs Eltern verband – immerhin betrauerten sie alle Sarahs Hinscheiden –, und so besuchte er sie in ihrem Vorstadtviertel, in der Hoffnung, dass sie ihm in seinem Leid beistehen würden.
Wie hatte er sich geirrt! Sarahs Eltern brachten Neil kein Mitgefühl entgegen, sondern gaben ihm stattdessen die Schuld an Sarahs Tod. In den Wochen nach ihrer Beerdigung waren sie zu der Auffassung gelangt, dass Sarah ihnen genommen worden war, um Neil seinen Unglauben vor Augen zu führen, und sie waren nun gezwungen, mit ihrem Verlust zu leben. All seinen früheren Erklärungsversuchen zum Trotz sei Neils missgebildetes Bein in der Tat das Werk Gottes, und wenn sich Neil angemessen demütig verhalten hätte, wäre Sarah vielleicht noch am Leben.
Diese Reaktion hätte Neil nicht überraschen dürfen. Sein ganzes Leben lang hatten diese Leute seinem Bein eine moralische Bedeutung beigemessen, obwohl Gott nicht dafür verantwortlich war. Jetzt, da Neil einen Schicksalsschlag erlitten hatte, dessen Ursache zweifelsohne göttlichen Ursprungs war, schien es unausweichlich, dass jemand annahm, Neil hätte es verdient. Wie es der Zufall wollte, kam Neil diese Auslegung zu Ohren, als er am verwundbarsten war, und so entfaltete sie die größtmögliche Wirkung.
Neil stimmte den Ansichten seiner Schwiegereltern nicht zu, aber er begann sich zu fragen, ob es für ihn nicht besser wäre, wenn er es denn täte. Vielleicht, so dachte er bei sich, würde es ihm leichter fallen, in einer Geschichte zu leben, in der die Rechtschaffenen belohnt und die Sünder bestraft wurden, selbst wenn ihm schleierhaft war, wie zwischen Rechtschaffenen und Sündern unterschieden wurde, statt in
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