Die Hölle lacht
verzog das Gesicht und blickte Urdus finster an. Dann stemmte sie die Hände auf die Hüften, stolzierte vor ihm hin und her und verspottete ihn.
»Soll ich dir die Lippe abbeißen, Urdus?« fragte sie höhnisch. »He, soll ich da weitermachen, wo deine rothaarige Gefangene begann? Oder möchtest du lieber eine Botschaft auf die Brust gesteckt haben? Nun, was meinst du? Oder soll ich dich vielleicht am Haar packen und mit einer Hand zu Boden werfen? Würde dir das gefallen? He? Der große Urdus besiegt von einer Frau!«
Urdus’ Wut und Verzweiflung waren seinem Gesicht deutlich abzulesen.
»Nein …«, fuhr Aleil überlegend fort. »Wie wär’s, wenn ich eine Schlange aus dem Wald herbeirufe? Was hältst du davon, Urdus? Ich lasse sie dich sechzigmal beißen, überall an den Füßen und Beinen, dass du überhaupt nicht mehr gehen kannst, immer wieder wird sie dich beißen und du kannst sie nicht davon abhalten.«
Urdus schwitzte.
»Ich könnte dir auch von einer Eule die Augen aushacken lassen. Was sagst zu dazu? He?«
Erneut bemühte er sich, den Arm zu bewegen, aber die Lähmung ließ nur ganz allmählich nach.
»Hm«, sagte Aleil nun mit sanfterer Stimme. »Es genügt möglicherweise, wenn ich dich ganz einfach hier stehen lasse. Dann kannst du dir alles so richtig ausmalen, was Athu und ich mit dir machen könnten, wenn wir nur wollten. He?«
Sie blickte ihm noch einmal höhnisch in die Augen, dann drehte sie sich um und ging. Urdus hörte, wie sie sich entfernte, wie ihre Schritte sich in der Stille des nächtlichen Lagers verloren. Er versuchte, sich umzudrehen, konnte es jedoch nicht.
Er wartete. Er spürte leichte Stiche, und ein bisschen Gefühl kehrte zurück – aber nur langsam, schmerzhaft langsam. Sein Arm senkte sich ein bisschen weiter.
Und da kam eine Schlange heran.
Urdus sah sie an einer mondbeschienenen Stelle. Entsetzt bemühte er sich, sich zu bewegen. Es gelang ihm immer noch nicht.
Aleil, dachte er. Sie ist also wahrhaftig eine Hexe!
Die Schlange glitt näher. In mehreren Windungen bewegte sie sich über den Felsboden. Sie schimmerte schwach im Mondlicht und züngelte, um ihn aufzuspüren.
Urdus beobachtete sie, bis sie unterhalb seiner bärtigen Wangen aus seinem Blickfeld verschwand.
Er spürte, wie sie sich langsam über seine Stiefel wand.
Wäre er innerlich nicht mehr taub gewesen, bestimmt hätte er sich jetzt in seiner Angst ins Beinkleid gemacht.
Doch nichts weiter geschah. Urdus wartete und wartete, bis er schließlich zu hoffen begann, dass die Schlange weitergeglitten war. Seine Gedanken entspannten sich ein wenig. Ja, die Schlange musste bereits weg sein …
Da hörte er Geräusche hinter sich.
Schwere Schritte – seine Wachen.
»Bei Mitra! Ist das Urdus?«
»Warum rührt er sich nicht?«
»Urdus, was ist denn los mit dir?«
»Ihr Götter! Er scheint gelähmt zu sein! Da, fasst an! Wir legen ihn nieder.«
Urdus wollte schreien: Nein! Nein! Nicht niederlegen! Die Schlange ist vielleicht noch da!
Nein, sie war nicht mehr da. Die Posten legten Urdus auf den Boden und hielten Wache bei ihm, bis sein Gefühl allmählich zurückkehrte.
»Wie kann das nur passiert sein?« fragte einer.
»Der Shemit!« rief ein anderer aus.
»Ja, ganz gewiss dieser Zauberer Athu!«
»Sein Samen sei verflucht!«
Ihre lauten Ausrufe weckten das Lager. Auch Sonja öffnete die Augen. Ihre Glieder schmerzten von den beengenden Fesseln. Sie schüttelte den Kopf und beugte sich vor.
Was immer auch das Problem war, sie bedauerte es zutiefst, dass ihre Bande nicht genügend gelockert waren, ihre Chance zu nutzen und eine der aquilonischen Waffen zu fassen zu bekommen, die am Rand des Lagers, in eine Decke eingehüllt lagen. Sie wusste, dass auch ihr Schwert dabei war.
Bei Erliks Thron! Warum hatte sie nicht heftiger gegen die verfluchten Zauberkräfte angekämpft, die sie gezwungen hatten, ihr Schwert aufzugeben?
Die ganze Nacht hindurch arbeitete Athu. Er häufte weichen Lehm und Erde auf sein Gewand aus Tierfellen. Nackt arbeitete er, und seine dunkle Haut und geschmeidigen Bewegungen verrieten ihn nicht mehr, als Schatten oder Wind die Geschöpfe des Waldes verrieten.
Als der Lehm- und Erdhaufen auf dem Gewand groß genug war, schlug er es zu einem Bündel zusammen, trug dieses und seine Zederntruhe zu der kleinen Höhle hoch, die das linke Auge des Totenschädels bildete.
Mehrmals in dieser Nacht leerte Athu dort den Lehm aus und kehrte für weiteren zum Teich zurück.
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