Die hölzerne Hedwig
mühelos stand. Die Ermittlerin berief sich auf die laufenden |20| Ermittlungen und bedauerte, dass sie nichts mitzuteilen hätte. Die Schwestern blickten den Wachtmeister an.
Als von dem jungen Spund nichts kam, sagte Gertrud: »Irgendjemand muss ihn identifizieren.«
»Haben Sie jemals seine Papiere gesehen?«
Überrascht verneinte sie und murmelte: »Aber es kann doch keinen Zweifel geben.«
Bisher war man auf keine Papiere gestoßen, weder Ausweis noch Führerschein. Keine Dokumente über Einbürgerung, kein Asylantrag.
Nichts Polizeiliches. Im Altpapier hatte sich Werbung gefunden, gerichtet an Frau Irena Bordon. Briefe von Versandunternehmen,
Mode, Handys, Elektrogeräte, Wintergärten, Heizungs-Sanierung, Erneuerung des Dachs. Sexartikel waren auch dabei. Zwei Weinhändler
boten 12 Flaschen für fast umsonst an. Man sah den schlecht gemachten Fotos an, wie dürftig die Qualität war, die sie anpriesen.
Die Schwestern zeigten sich entsetzt. Ein Mord in ihrer Mitte! In dieser Idylle. Vor 35 Jahren hatte hier das letzte Verbrechen
stattgefunden, seitdem nur Jugendliche, die mit Luftgewehren ballerten und Städter, die in den Schonungen Weihnachtsbäume
absägten.
Amanda kannte Bordons Kfz-Kennzeichen, Überraschung auf Karolinas Gesicht.
»Sie können ihr glauben«, sagte Gertrud. »Sie hat manchmal seltsame Angewohnheiten.«
Amanda entschuldigte sich für ihren Zahlensinn. »Einmal sehen und es sitzt. Wäre ich nur bei Namen auch so gut.«
Der Wachtmeister zog mit dem Zufallsfund ab, zehn Minuten später war er zurück. Das Kennzeichen gehörte einem Lehrer aus Soltau,
dem es von einem Parkplatz im Tierpark |21| Hodenhagen abgeschraubt worden war. Das Kfz-Schild war also geklaut, wie es sich mit dem Wagen verhielt, einem betagten dunkelgrünen
Mazda-Kombi, musste sich zeigen.
Der Wachtmeister brachte auch Ergebnisse zum Namen Bordon mit. Nirgendwo gemeldet, weder mit erstem noch zweitem Wohnsitz.
Steuerlich waren beide nie in Erscheinung getreten. Das örtliche Finanzamt kannte mehrere Kandidaten, die von auswärts in
seinen Zuständigkeitsbereich eingesickert waren und dann als Unsichtbare gelebt hatten.
Illegale. Einmal das Wort als Vermutung ausgesprochen, und die Schwestern schlossen die Bordons noch stärker ins Herz. Ihre
Bereitschaft, Underdogs zu beschützen, war frisch und unverbraucht.
»Sie haben die Bordons nicht zufällig gedeckt?«, fragte die Kommissarin. »Versteckt? Beschäftigt? Vermittelt? Medizinisch
behandelt?«
»Das würden wir Ihnen wohl kaum erzählen«, entgegnete Gertrud so seelenruhig, dass die renitente Art sich erst mit Verzögerung
vermittelte.
Aber den Namen des Vermieters nannten sie, ohne Fiesematenten zu machen. Macciato hieß er, auch nach viermaligem Nachhaken
hieß er so, in genau dieser Schreibweise. Ohne h. Die Kommissarin glaubte an einen Spitznamen, die Schwestern bestanden nicht
darauf, Recht zu haben. Macciato, ein Rotlichtkönig aus dem Osten, dicht an der polnischen Grenze.
Redend und fragend schlenderte man zum Haus der Schwestern hinüber. Faktisch waren sie die direkten Nachbarn der Bordons.
Niemand wohnte näher als sie, aber dicht dran |22| wohnten sie nicht. Fast fünf Minuten ging man, bevor die Kommissarin erkannte, dass sie mit ihren Vorurteilen noch zu defensiv
gewesen war. Vier Katzen, Rosenrabatten wie auf der Landesgartenschau, ein Bauerngarten zum Abfilmen. Hinter dem Fachwerk-Wohnhaus
erstreckte sich ein schier endloses Grundstück. Bäume und Büsche, Äpfel, Quitten, Holunder, Schlehen. Keine 08/15-Äpfel aus
der Massenproduktion, sondern seltene Sorten, derentwegen Gärtner von weither angereist waren, um die aus dem Saatgut gezogenen
Bäumchen an der Peripherie von Hamburg und Berlin anzupflanzen, wo man sich diese Schätze etwas kosten ließ. Und erst die
Kürbisse! Auf der linken Seite des Gartens lagen sie, basketballgroß die kleinen, zentnerschwer die Kolosse. Die Schwestern
lebten für Kürbis und verwandelten ihn in alle Zustände, die die Natur zu bieten hat. Die Kommissarin wurde aufgefordert,
einen der feisten Leiber zu bewegen. Er war schwer wie ein Felsbrocken, wenn er sich auch schöner anfasste.
An der Straße stand eine Holzkonstruktion, gegen Wind und Wetter geschützt, sogar Katzen rutschten ab. Zehn Sorten Marmelade
und Säfte, daneben in einer Holzkiste die Kasse des Vertrauens.
»Ihnen ist schon klar, dass Sie behumpst werden?«, fragte die Kommissarin.
»Wir
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