Die hölzerne Hedwig

machen Gewinn, jedes Jahr«, entgegnete Amanda mit fester Stimme und berichtete, Bordon einige Male beschäftigt zu haben.
     Er war im Garten aufgetaucht. Als sie ihn entdeckt hatten, war er schon eine Stunde an der Arbeit gewesen, stumm und mit ungeheurer
     Kraft, dabei war er nicht besonders muskulös gewesen. Bei dem Mann speiste sich die Kraft aus anderen Quellen.
    |23| »Ich habe manchmal gedacht: Mit dem möchte ich nicht verfeindet sein«, sagte Amanda mit für ihre Verhältnisse defensiver Stimme.
     »Es ist nicht so, dass er etwas Bedrohliches ausstrahlt. Aber man sah es ihm an, man wusste: Dieser Mann ist nett bis zu einem
     bestimmten Punkt.«
    Wenn dieser Punkt erreicht war, würde ein anderer Bordon in Erscheinung treten. Weshalb sie das annahmen? Sie sprachen von
     Gefühlen, von Bordons Art, sich zu geben und zu bewegen. Am Ende wollten sie alles relativieren, da hatte die Kommissarin
     es bereits abgespeichert.
    Wachtmeister Graf sagte: »Ich gehe dann mal zum Opel-Sammler. Der braucht immer eine Sonderbehandlung.« Und an die Kommissarin
     gerichtet: »Sie kommen ohne mich zurecht. Ihre Fragen werden ja auch nicht besser, wenn ich die ganze Zeit daneben stehe.«

5
    Sie sah dem Davonziehenden hinterher und fragte: »Zuckt mein Auge?«
    Die Schwestern bestätigten, dass dieser Polizist gewöhnungsbedürftig sei. Anfangs hätten ihn alle für einen Quatschkopf gehalten.
     Das hatte aufgehört, nachdem er sich ins Vertrauen aller Bewohner hineingeredet hatte. Das dabei angesammelte Wissen habe
     er gespeichert und würde es bei jeder Gelegenheit abrufen. Leichthin und wie nebenbei ausgesprochen, sodass man glaubte, man
     müsse ihn nicht ernst nehmen. Aber er habe seinerzeit den Einbruch ins Haus der |24| Zeitungsfrau aufgeklärt; den Krieg in der Freiwilligen Feuerwehr habe er beendet; und er habe herausgefunden, wer Tonja, die
     schönste Halbwüchsige im Ort, mit obszönen Zeichnungen verfolgt hatte. In jedem dieser Fälle hatte er das, was er vorher wusste,
     so lange zusammengelegt, bis das Puzzle einen Sinn ergab. Außerdem sei er immer greifbar, im Gegensatz zu seinem älteren Kollegen.
     Der sei ein fauler Sack, der sich nur für seinen schmerzenden Rücken interessiere.
    Eine Freundin? Nein, Marvin reiste solo. Er sei ein Flirter und Küsser. Beim Schützenfest würde er schmusen, auf dem Heidefest
     ließ er keine Frau ungeküsst nach Hause gehen, und wenn in der Adventszeit ein Märchen für die Schulkinder aufgeführt wurde,
     gab Marvin einen Mix aus Ordnungshüter und Gigolo. Streng genommen nutze er seinen Posten aus, um sich Frauen zu nähern. Er
     sprach gerne von dem subjektiven Sicherheitsgefühl, das zu erzeugen er als seine Aufgabe ansehe. Und dann werde eben geküsst,
     jede Frau unter 50.
    Gertrud musterte die Kommissarin und sagte: »Sie passen in sein Schema. Wenn Sie nichts dagegen haben, müssen Sie nur weiter
     so pampig zu ihm sein wie vorhin. Wenn nicht, müssen Sie ihn bremsen. Das Problem ist nur: Er ist nicht zu bremsen. Irgendwann
     küsst er sie. Besser, Sie lassen ihn gleich ran, dann knallen Sie ihm eine und haben es hinter sich. Wer weiß, vielleicht
     gefällt es Ihnen ja auch?«
    Wie oft die Bordons im Ortsbild aufgetaucht seien? Selten, und es hatte immer einen praktischen Grund. Handlanger-Arbeiten,
     mal einen Baumstumpf mit Wurzeln ausgraben. Das sei die härteste Arbeit, die hier draußen anfalle. Bis auf |25| den steinernen Findling, der alle paar Jahre in einem Acker auftauchen würde. Da müsse man mit Kran und Bagger ran. Bordon
     hatte Zuckerrüben angehäufelt und dafür vom Bauern ein Schwein bekommen. Zur Zeit der Rübenernte im Herbst arbeitete er in
     der Zuckerfabrik.
    Enge Beziehungen zu Bewohnern? Nicht die Bordons. Guten Tag, guten Weg, enger war es nie geworden. Irena konnte schlecht mit
     Kindern, das sei aufgefallen, weil sich Frauen ja gern bemühten, über die Kinder Kontakt herzustellen. Ein paarmal gab es
     Situationen, wo Irena nur einen Schritt hätte tun müssen. Oder eine Hand ausstrecken. Oder einen Wicht auf den Arm nehmen
     und ihm den Schnodder abwischen. Damit hatte sie es nicht so. Die Kinder hätten das schnell gemerkt und Abstand gehalten.
    Angst hätten sie nicht gehabt, auch vor Bordon nicht. Die Bande vom Sportplatz hatte ihn breitgeschlagen, in der Abwehr auszuputzen,
     weil sie ihre Mannschaften nicht vollkriegte. Bordon sei unheimlich schnell gewesen. Auf den ersten zehn Metern habe er jeden
     abgehängt, aber die Jungen