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Die hölzerne Hedwig

Die hölzerne Hedwig

Titel: Die hölzerne Hedwig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: zu KLAMPEN
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per E-Mail rüberschicken, aber warum sollte ich das tun?«
    Die Einladung zu einer Tasse Kaffee lehnte die Kommissarin zuerst ab, um doch zuzustimmen, als Frau Landmann sagte: »Es wäre
     wichtig. Wegen meinem Mann. Er dreht langsam durch.«
    So kam sie in den Klinkerbau der Landmanns. So sahen Räume aus, die darauf warten, Besuchern vorgeführt zu werden: sauber,
     ordentlich, unbewohnt. Nur zwei Zimmer fielen aus dem Rahmen: die Butze, von der aus Landmann seine Korrespondenz führte;
     vor allem aber der Raum, in dem Frau Landmann träumte. Einerseits enthielt er alles, was die Kommissarin furchtbar fand: Puppen,
     Marionetten, Porzellannippes, Stiche. Andererseits gab es massenhaft Bücher und eine dreistellige Zahl Kartons. Jeder war
     beschriftet und doch wirkte es hier nicht zwanghaft ordentlich, sondern sinnvoll und zweckdienlich.
    »Ich muss das so machen, weil ich sonst untergehe«, erklärte Frau Landmann. »Allein die Cassetten wiegen mehrere Zentner.«
     Sie war die Schwester Grimm des Landkreises. Seit 25 Jahren sammelte Frau Landmann Märchen, Sagen, Legenden und Döntjes jüngeren
     Datums, die dabei waren, sich zu Märchen zu verfestigen. Sie sprach mit den Bewohnern und brachte sie dazu, auf Dachböden
     und Kellern die oberen Schichten abzutragen, um darunter hervorzuziehen, was seit Langem verräumt und vergessen war: Fotoalben,
     Bücher, Hefte, Briefe, Aufzeichnungen. Alle fünf Jahre trug ihr jemand einen Schatz ins Haus: Hefte voller Geschichten, |264| Tagebücher mit Verweisen auf Orte, Zeichen, Begebenheiten, auf Namen, Berufe und familiäre Verwicklungen, die das Gerüst für
     Geschichten bildeten.
    »Eigentlich mache ich nichts Besonderes, ich sammle nur. Der einzige Unterschied ist, dass ich mit dem Sammeln nicht mehr
     aufhöre und dass ich mich nicht abwimmeln lasse. Wer den Fehler begeht, mir einmal etwas zu zeigen oder zu geben, wird mich
     nicht mehr los. Ich habe Hunderte von Kuchen gebacken, um mir Zugang zu verschaffen. Der Weinversand, der uns beliefert, hält
     uns mit Sicherheit für Alkoholiker. Dabei trinken wir nur Weihnachten ein Glas. Alles andere sind Bestechungsgeschenke. Die
     Leute lassen sich für ihr Leben gern bestechen. Ein alter Mann hat mir Lügengeschichten aufgeschrieben, die er sich ausgedacht
     hat, nur um an die nächste Flasche Wein zu kommen. Als er aufflog, dachte er, alles sei aus. Er hat bis heute nicht begriffen,
     warum er mir einer der Liebsten ist. Wenn ich ihm über die Schulter sehe, kann ich Volkskultur beim Entstehen zusehen.«
    Wenn die Frau Feuer fing, verwandelte sie sich. Nüchtern sah sie aus wie eine resignierte Lehrerin oder Sozialpädagogin. Wenn
     sie erzählte, wurde ihre Stimme voller, ihr Blick leuchtender, und ihre Hände gestikulierten. Es machte Spaß, dieser Frau
     zuzuhören und zuzusehen – unabhängig von dem, worüber sie sprach.
    Sie tauschte sich seit Langem mit anderen Sammlern aus, so hatten die Lüneburger von ihr erfahren. Mittlerweile war sie freie
     Mitarbeiterin der Uni und versorgte die Akademiker mit Erzeugnissen von außerhalb ihrer kleinen klugen Welt.
    »Ich glaube, die da schätzen meine Arbeit«. Sie war stolz, dass man sie ernst nahm. Geld wollte sie nicht verdienen, die |265| Arbeit gab ihr alles, was für sie Wert besaß. Die Arbeit verlieh ihr auch die Kraft, ihren Mann zu ertragen.
    »Sie müssen wissen: Ich mag das Scheusal. Wenn er nur nicht so dröge wäre! Ich bin froh, dass er seine Autos hat, ich will
     mir gar nicht vorstellen, wie unleidlich er ohne die Autos wäre. Aber er ist so … so … so wenig spontan.«
    »Sie haben ihn geheiratet.«
    »Das höre ich immer wieder, ich kann von Jahr zu Jahr weniger glauben, dass ich das getan habe.«
    Dann kam sie auf das Thema, vor dem sich die Kommissarin gefürchtet hatte. Landmann hatte seiner Frau alles gestanden. Die
     Kommissarin war auf einige Reaktionen eingestellt, auf diese nicht:
    »Wie kriege ich ihn dazu, in dieser Richtung weiterzumachen?«, fragte Frau Landmann entwaffnend.
    Die Entgegnung war so ehrlich gekommen, dass sie die Frauen noch dichter zusammenführte. Zum Kaffee kam Kuchen, dann der Schnaps
     der Hebamme, dann die Legende von der Heiligen Hedwig. Zahlreiche Versionen waren in der Region im Umlauf, sie unterschieden
     sich in Einzelheiten, keine zwei Quellen waren gleich. Gleich war nur das Große und Ganze. Aus Hedwigs Blut war die Eiche
     entsprossen, Hedwigs Blut verlieh dem Baum das intensive Grün der Blätter und den

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