Die hölzerne Hedwig
von der Vorstellung gepeinigt worden, es könnten zwei Kinder im Spiel sein.
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Beim Essen hielten sie Kriegsrat. Das Lehrmädchen mit der Neugier im Blick bediente sie. Hemmungen und gute Ausbildung hielten
sie davon ab, länger als nötig am Tisch stehen zu bleiben. Aber wenn jemals auf jemanden die Redewendung zugetroffen hatte,
dass er dabei war, vor Neugier zu platzen, dann auf dieses Mädchen. Die Kommissarin hatte ihr mitgeteilt, damit wenigstens
eine Frage nicht offen blieb, auf dem Campingplatz keinem Kai begegnet zu sein. Das war mit leiser Enttäuschung hingenommen
worden.
»Das Geschäft hat einen Ruck bekommen«, sagte Küchenmeister und zerstrich die Preiselbeeren auf dem Eierpfannkuchen, den er
danach zusammenrollte und aus der Hand aß. |258| »Auf einmal wissen wir so viel, ich bin ganz durcheinander«, sagte er kauend.
Sie hatten es mit einem kleinen amerikanischen Staatsbürger zu tun, die Kommissarin hätte sich eine andere Nationalität vorstellen
können. Wenn amerikanische Behörden etwas liebten, dann den leidenschaftlichen und nicht durch Rücksichtnahme gebremsten Einsatz
für die eigenen Staatsbürger. Die Kommissarin erinnerte sich an eine Fahndung, zu der ihr von oben zwei FBI-Agenten zugeteilt
worden waren. Der Kampf der Kulturen und Fahndungsvorlieben war nach 24 Stunden recht mühsam geworden, wenngleich sie vom
smarteren der beiden jedes Jahr zu Weihnachten eine Karte erhielt.
Beide Elternteile waren spurlos verschwunden. Sie hieß Laura, er wahrscheinlich Gregory. Der Familienname war nicht bekannt.
Nach dem Wohnmobil wurde gefahndet. Falls sie es nicht aus dem Verkehr gezogen hatten, waren die Aussichten gar nicht schlecht.
Ende Oktober gab es deutlich weniger Wohnmobile auf den Straßen als im Sommer. Ihr Ziel war Württemberg gewesen, ein großes
Bundesland, aber die Richtung eindeutig. Tankstellen, Rasthäuser, Apotheken und Krankenhäuser waren informiert. Sie würden
Probleme haben, auch nur eine Schachtel Schmerztabletten unbemerkt zu kaufen.
Warum waren beide verschwunden? Entweder weil sie Augenzeugen der Bluttat geworden oder selbst an ihr beteiligt gewesen waren.
Tatverdächtig war Gregory, Laura schied als Täterin aus. Beide Kommissare hegten einen Restzweifel, den sie aber nicht laut
werden ließen. Immerhin war es möglich, dass Bordon sein Leben verloren hatte, als das Kind noch nicht geboren war.
|259| »Was ich gar nicht gebrauchen könnte, wäre eine zweite Schwangerschaft«, murmelte Küchenmeister. »Die Überalterung der Dörfer
hat doch ihre Vorteile.«
Im Dorf selbst war ein Mädchen von 18 guter Hoffnung, in der Umgebung drei weitere Frauen. Alle in einem Stadium, bei dem
eine Geburt noch nicht zu erwarten stand. Marvin schaute täglich bei ihnen vorbei und ließ sich das nicht ausreden. Seine
Erklärung »Ich habe schon Pferde kotzen sehen«, war nicht dazu angetan, der Polizei neue Freunde in der Bevölkerung zuzutreiben.
Die Zuckerfabrik hatte bestätigt, dass Bordon am Tattag nach dem regulären Ende seiner Schicht das Gelände in der Kreisstadt
verlassen hatte. Die 14 Kilometer zur Arbeit legte er mit dem Wagen zurück. Tagsüber hatte der Wagen auf dem Parkplatz der
Zuckerfabrik gestanden. Irena besaß einen zweiten Schlüssel, aber sie war tagsüber in Hammerloh gesehen worden, fiel als Lenkerin
des Wagens damit aus.
Als Täter kam momentan nur Gregory in Frage, weil man nur von ihm wusste, dass er in der Nähe gewesen war oder einen plausiblen
Grund besessen hatte, die Hütte zu betreten. Die alte Hebamme bestätigte, dass er da gewesen sei. Wenn Bordon nicht gewusst
hatte, dass er auf ein Kreißsaal-Szenario treffen würde; wenn der Kindsvater mit Bordon schnell aneinandergeraten war, dann
wäre eine Zuspitzung denkbar – Vorsatz dürfte ausscheiden. Aber es musste Augenzeugen gegeben haben. Laura mit Sicherheit,
Irena mit Wahrscheinlichkeit.
Was hatte es zu bedeuten, dass die Eltern sich nicht um ihr Kind kümmerten? War es der Schock nach dem gerade Erlebten? War
es das Eingeständnis von Gregorys Schuld? Was |260| immer es sein mochte, dass sie jemals bei den württembergischen Verwandten vor der Tür stehen würden, war kaum zu erwarten.
Nachdem sie bei der Hausruine vorbeigeschaut hatten, nahmen sie Irena in die Mangel. Erst wiederholte sie ihre früheren Aussagen,
dann begann sie zu zittern und weigerte sich, weiter zu sprechen. Es sei alles zu viel für sie. Die Ermittler
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