Die hölzerne Hedwig
goldenen Glanz der Rinde. Im Tod hatte Hedwig
Leben gespendet. Sie hatten Hedwig töten wollen, aber es war ihnen nicht gelungen.
Danach begann die Klage. Frau Landmann hasste das Dorf Hammerloh, weil es ihr die Luft zum Atmen nahm. Sie mochte die Menschen
und sie liebte ihre Geschichten, aber das Leben hatte sich Adern gesucht, die den Fluss des Lebens |266| um Dörfer wie dieses herumleiteten. Seit Jahren lag sie Landmann in den Ohren: noch einmal neu anzufangen, ins Ausland zu
gehen, auf eine Insel oder in eine Stadt, eine große Stadt. Keine Puppenstube, sondern eine Stadt mit Gestank und Ghettos
und Problemen, mit 100 Kinos und 50 Theatern.
»Ich bin so wild aufs Stadtleben, Sie machen sich keinen Begriff davon.«
Eine Entlohnung hatten ihr die Lüneburger doch mit Erfolg spendiert: ein Abo fürs städtische Theater. Sie hätte es sich selbst
kaufen können, aber es war der Lohn für ihre Arbeit. Sie genoss die Fahrten, Aufführungen und anschließenden Lokalbesuche
wie eine Frischzellenkur.
»Können Sie Landmann nicht einreden, dass er in der Stadt viel bessere Verstecke für seine linkische Seitenspringerei vorfinden
würde? Mehr Absteigen? Mehr Lokale? Mehr Apotheken, wo er sich alles kaufen kann, ohne rot zu werden? Mehr Autoverrückte,
die ihm auf die Schulter klopfen?«
Nun blieb nichts anderes übrig, als den Mord ins Spiel zu bringen. Was wusste Frau Landmann, die mit allen im Gespräch war?
Sie wusste nichts, denn die Bordons hatten keine Wurzeln in der Heide. »Wenn ich anfange, auch noch die Zugereisten auszupressen,
muss ich Mitarbeiter einstellen.«
»Tun Sie das doch. Nehmen Sie jemanden, den Ihr Mann mag. Dann ist er glücklich und Sie haben mehr Zeit, um in die Stadt zu
fahren.«
Die Kommissarin hatte einen Keim gelegt und war nicht sicher, ob er aufgehen würde.
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Ding Junhui besaß das Gesicht eines Kindes. Gleichmütig und auf schülerhafte Art interessiert wirkend, ging der Profi den
nächsten Stoß an. Ein Long Shot über mehr als drei Meter. Würde es ihm gelingen, einzulochen und würde er die weiße Kugel
im guten Winkel auf die vorletzte rote stellen, wäre ihm der Frame nicht mehr zu nehmen. Das Queue zuckte, stieß zu und die
Tür brach aus dem Rahmen. Jedenfalls hörte es sich so an. »Dalli! Dalli! Höchste Wichtigkeitsstufe! Treffen in 30 Sekunden
am Wagen!«
Schottersteine aufwirbelnd, rauschte der Wagen über die fußballfeldgroße Parkplatz-Landschaft des Freizeitparks bis zum Eingang.
Zwei Krankenwagen kamen gleichzeitig mit ihnen an. Ein Mann lud die Ermittler in den Elektrokarren, der während der Fahrt
ein helles Summen erzeugte.
Er hieß Schnack, Technischer Leiter. Er sagte: »Passiert natürlich nicht zum ersten Mal. Die Irren sterben niemals aus. Wir
haben einfach das coolste Bühnenbild.«
Nachts wirkten die Fahrgeschäfte und Karussells auf pittoreske Weise unheimlich. Nur noch wenige Lampen brannten, sie fuhren
auf das hellste Licht zu. Über ihr Ziel konnte kein Zweifel bestehen, die Achterbahn beherrschte alles. Sie war höher, breiter,
wuchtiger als ihre Umgebung. Instinktiv glaubte man das Geräusch der sausenden Karren zu hören, bevor einem bewusst wurde,
dass der Betrieb um 23 Uhr 30 natürlich eingestellt war. Das emsige Summen des Elektromotors war das einzige Geräusch. Vor
einer halben Stunde hatte man Schnack aus dem Haus geholt, nicht aus dem Bett, |268| darauf legte er Wert. Unbekannte auf der Achterbahn! Zu dem Zeitpunkt war der Kletterer schon auf halber Höhe, mittlerweile
sollte er fast am höchsten Punkt angekommen sein.
»Weg mit dem Scheinwerfer!«, kommandierte Küchenmeister.
»Aber wir haben genug davon! Wir können noch mehr …«
»Schalten Sie ihn aus! Richten Sie ihn woandershin. Oder wollen Sie, dass er fällt, weil ihn das Licht blendet?«
Die Konstruktion war aus Holz, die größte Achterbahn ihrer Art weltweit. Genau die Information, die momentan keinen interessierte.
Der Lichtkegel des Scheinwerfers wurde flacher, die Gestalt im Gewirr der Holzstreben war aber noch gut zu erkennen.
Fünf Minuten später stand Kommissarin Wiese im Korb der Betriebsfeuerwehr. Mit seiner Hilfe wurden die unzugänglichen Stellen
erreicht, um zu inspizieren, malern, dekorieren.
»Sie müssen das nicht machen!«, rief Küchenmeister. »Wenn Männer für irgendetwas gut sind, dann doch dafür. Ich halte beim
Reihern auch die Hand vor den Mund, wie sich das gehört.«
»Mein
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