Die Hongkong-Papiere
veränderte die Haltung, indem er nach fünf Minuten das rechte Ohr mit der linken Hand zuhielt, wobei er weiterhin tief und gleichmäßig atmete. Im Anschluß daran bedeckte er beide Ohren und hielt die Arme vor der Brust gekreuzt.
Dunkelheit umhüllte ihn, und als er schließlich die Augen aufschlug, war sein Mund ganz kalt. Er machte einen langen, zitternden Atemzug. Als er schließlich aufstand, schienen alle seine Gliedmaßen von Kraft zu strotzen. Er war gespannt, wie Bellamy reagieren würde, aber die Resultate waren auch für jeden anderen deutlich sichtbar. Eine Hand, die nicht mehr zitterte, ein klares Auge und eine Kraft, die er niemals für möglich gehalten hätte.
In diesem Moment betrat Su Yin das Zimmer. Sie trug eine beige Hose und eine Bluse in leuchtendem Orange. Sie kämmte sich die glänzenden schwarzen Haare. »Du siehst richtig selbstzufrieden aus.«
»Und warum sollte ich das nicht sein? Ich habe den Nachmit tag mit einer überaus schönen Frau im Bett verbracht, und ich fühle mich noch immer wie Samson persönlich.«
Sie lachte. »Mit dir ist es hoffnungslos, Sean. Ruf mir ein Taxi, ja?«
Er wählte die bekannte Nummer und drehte sich wieder zu ihr um. »Was ist denn nun mit heute abend? Wir könnten im Ritz essen und uns die Varietevorstellung ansehen.«
»Es geht wirklich nicht.« Sie legte eine Hand gegen seine Wange. »Ich weiß, wie gut du dich in letzter Zeit fühlst, aber du kannst nicht alles haben.« Sie zögerte. »Du vermißt Yuan Tao, nicht wahr?«
»Sehr sogar, was eigentlich seltsam ist, wo er doch erst vor fünf Tagen wieder heimgekehrt ist.«
»Würdest du mich genauso vermissen?«
»Natürlich. Warum fragst du?«
»Ich kehre nach Hause zurück, Sean. Meine Schwester und ihr Mann eröffnen einen Nachtclub in Hongkong. Mein Onkel hat mich gestern angerufen. Sie brauchen mich.«
»Und der Red Dragon?«
»Wird erfolgreich weitermachen wie eh und je, geleitet von meinem Chefkellner, der zum Geschäftsführer befördert wird.«
»Und ich?« fragte er. »Was ist mit mir?«
»Willst du etwa behaupten, du liebst mich?« Er zögerte, ehe er darauf antwortete, und das sagte alles. »Nein, Sean, wir hatten ein paar schöne Wochen zusammen, aber alles ist irgendwann mal vorbei, und es wird für mich Zeit, nach Hause zu gehen.«
»Wann?«
»Wahrscheinlich schon am Wochenende.« Als die Türklingel ertönte, griff sie nach ihrem Aktenkoffer. »Das ist mein Taxi. Ich muß gehen. Ich habe viel zu tun.«
Er brachte sie zur Tür. Das Taxi wartete mit laufendem Motor. Sie blieb auf der Treppe stehen. »Das ist nicht das
Ende, Sean. Rufst du mich an?«
Er küßte sie zärtlich auf beide Wangen. »Natürlich.«
Aber er würde es nicht tun, er wußte es, und sie wußte es auch. Er konnte es an der Art und Weise erkennen, wie sie innehielt, ehe sie ins Taxi stieg, und zu ihm zurückblickte, als sei es das letzte Mal. Und dann schlug die Tür zu, und sie war verschwunden.
Er stand gut eine Viertelstunde unter der Dusche und dachte nach, als jemand an der Haustür klingelte. Ob sie zurückge kommen war? Er warf sich einen Bademantel über und ging hinaus, wobei er seine Haare mit einem Handtuch abtrocknete. Als er die Tür öffnete, stand ein Mann in einem braunen Overall vor ihm. Er hatte ein Klemmbrett in der Hand, und hinter ihm auf der Straße parkte ein Kombiwagen der British Telecom.
»Tut mir leid, wenn ich Sie störe, Sir, aber wir hatten heute morgen in dieser Gegend schon vier defekte Anschlüsse. Darf ich mal einen Blick in Ihren Verteilerkasten werfen?« Er zückte einen Dienstausweis der British Telecom mit seinem Foto und dem Namen J. Smith darauf.
»Natürlich, warum nicht?« Dillon wandte sich um und ging voraus durch den Flur. »Der Anschlußkasten befindet sich unter der Treppe. Ich ziehe mir nur eben etwas an.«
Er ging nach oben, trocknete seine Haare, kämmte sich, schlüpfte in einen alten Trainingsanzug und Turnschuhe und ging wieder nach unten. Der Telefontechniker kniete unter der Treppe.
»Ist alles in Ordnung?«
»Ich denke schon, Sir.«
Dillon machte kehrt, um das Wohnzimmer zu durchqueren und die Küche aufzusuchen, und entdeckte mitten im Raum einen großen Wäschekorb. »Was zum Teufel ist das denn?«
fragte er.
»Ach, der ist für Sie.«
Ein zweiter Telefontechniker im gleichen Overall tauchte hinter der Tür auf. Er hielt eine italienische Beretta in der Hand. Er sah schon älter aus
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