Die Horde - Die Schlacht von Morthûl
auch Elfen, Zwerge und Mischlinge.
Vigo Havarren hatte diese Flure tausendmal und mehr durchschritten und achtete nicht auf die Wächter, als er an ihnen vorbeirauschte. Die Architektur faszinierte ihn mehr als die lebenden Toten. Er ließ die unteren Stockwerke, von Umfang und Gestaltung her recht gewöhnlich, hinter sich und stieg in die fremdartigen Etagen weiter oben hinauf. Hier bestanden die Flure und Wände aus dem gleichen nachtschwarzen Eisen wie die Außenseite der Zitadelle, und darin fanden sich ähnliche Muster. Manche Räume schienen nur aus dem filigranen Eisen zu bestehen und gestatteten es Besuchern, durch die schmalen Lücken zwischen den Metallfäden zu blicken und zu sehen, was sich dahinter befand. Andere Zimmer, wie Morthûls Gemächer, hatten Wände aus den finstersten aller Steine.
Trotz seiner magischen Kenntnisse hatte nicht einmal Havarren irgendwelche Grundmuster in den Eisenrunen erkannt, obwohl er sicher war, dass es sie geben musste. Hier und dort erschienen ihm einzelne Zeichen vertraut, Symbole des Schutzes, Sigille der Macht. Andere kannte er nicht: sonderbare Darstellungen aus verschlungenen Linien, die unmögliche Winkel bildeten und sich weigerten, den Gesetzen der Geometrie zu gehorchen – mit der Zauberei, die Havarren kannte, hatte dies nichts zu tun. Er dachte an das Ausmaß der Magie, die in jeder Sekunde des Tages durch die Eiserne Burg strömte, und bei dieser Vorstellung schauderte selbst er, der furchtlose Zauberer und erste Diener des Leichenkönigs von Kirol Syrreth.
Er straffte die Schultern, schritt an den letzten beiden skelettenen Wächtern vorbei und hob die Hand, um an die Mahagonitür zu klopfen. Es überraschte ihn nicht sonderlich, als die Tür aufschwang, ohne dass er sie berührt hatte. Er nahm die wortlose Einladung an und betrat das Allerheiligste von König Morthûl.
Wenn der Thronsaal der Eisernen Burg mit seinen glänzenden Böden und dem geradezu riesigen Marmorthron dazu bestimmt war, zu beeindrucken und auch einzuschüchtern, so schien der Zweck des Audienzraums darin zu bestehen, zu verwirren und zu beunruhigen . Hier überlagerten sich die vom filigranen Eisen gebildeten Symbole und ließen den Betrachter schwindlig werden, wenn er versuchte, mit seinem Blick all den Linien zu folgen. Schlimmer noch, an mehreren Stellen, jeweils etwa vier oder fünf Meter voneinander entfernt, wölbte sich das Eisen an den Wänden nach außen und bildete so etwas wie Käfige in Größe und Form von Menschen. Wer sich in einem solchen Käfig befand, musste stehen, denn überall gab es Dornen und Stachel, die sich dem Unglücklichen in Haut und Fleisch bohren würden, wenn er versuchte, sich zu setzen oder auch nur an die Wand zu lehnen.
Aber es stand niemand in den Käfigen. Sie waren leer und schienen allein der Ausschmückung zu dienen.
Das wollte Havarren glauben.
Der Boden bestand weder aus Eisen noch aus Stein, sondern aus ewiger Nacht, die Substanz bekommen hatte. Gelegentlich waberte es in der Finsternis, als wäre der Boden eine Glasfläche über einem dunklen, bösen Meer. Trotz seiner Vertrautheit mit der Eisernen Burg war auch dies ein Phänomen, für das Havarren keine Erklärung hatte.
In der Mitte des Raums saß der halb verweste Herr der Zitadelle, nicht auf einem großen Marmorthron oder einem Podium aus Knochen, sondern auf einem mit rotem Samt bezogenen Stuhl. Er beugte sich über einen großen Tisch, der ebenso gewöhnlich war wie der Stuhl, und las in einem der hundert staubigen Bücher, die er in einer Bibliothek aufbewahrte, die Havarren nie gesehen hatte.
Für einige lange Momente las Morthûl weiter und schien den Zauberer gar nicht zu bemerken. Schließlich hob er die knochige Hand, als Havarren den Mund öffnete, um auf seine Präsenz hinzuweisen. Die Bewegung schien einige Käfer zu erschrecken: Sie fielen vom Arm, krabbelten eilig über die Polsterung des Stuhls und krochen in Kleidung und Körper des Leichenkönigs zurück. Morthûl winkte ein zweites Mal, wobei seine ledrige Haut knarrte, und das Buch verschwand vom Tisch.
»Ihr habt um eine Audienz gebeten?«
»Ja, Euer Majestät. Ich dachte, Ihr solltet wissen … Ich meine, es scheint, das von Euch zusammengestellte Dämonen-Korps …«
Zwar kannte Havarren die Launenhaftigkeit des Dunklen Lords, aber die plötzliche Veränderung verblüffte ihn dennoch. Mit einem Satz war Morthûl auf den Beinen, und seine rechte Hand packte den Umhang des Zauberers. Knochige
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