Die Horde - Die Schlacht von Morthûl

Fingerspitzen bohrten sich durch den Stoff, und auch durch mehrere Hautschichten. Der hagere Zauberer zuckte zusammen, gab aber keinen Ton von sich.
    »Was ist mit meinem Korps passiert?« Der Atem des Leichenkönigs strich über Havarrens Gesicht; der Verwesungsgestank brachte den Zauberer zum Würgen.
    Mein Korps? Havarren beschloss, später über diese besondere Wortwahl nachzudenken. »Mit dem Korps ist nichts passiert , nicht in dem Sinn, Euer Majestät. Alle sind wohlauf.«
    Morthûl ließ ihn los, ohne auf das Blut – oder das Fast-Blut – an seinen Fingerspitzen zu achten. »Was also wollt Ihr mir mitteilen?«
    »Offenbar hat das Korps einen neuen Auftrag erhalten.«
    »Von wem? In wessen Namen?«
    Hier wird es interessant. »Von Königin Anne, Euer Majestät. Das gilt für beide Fragen.«
    Eine Braue – Morthûls einzige, um ganz genau zu sein – kam nach oben. »Anne?« Der Dunkle Lord schüttelte den Kopf, wodurch einige weitere Insekten den Halt verloren. »Warum?«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung, Sire. Es geschah erst vor zwei Tagen. Das Korps ist noch zum Unheimlichen Schloss unterwegs.«
    »Ich verstehe.« Der Leichenkönig überlegte. »Nun gut, Havarren. Unternehmt derzeit nichts. Meine Frau hat manchmal … äh … seltsame Ideen, aber sie würde auf keinen Fall unserer Sache schaden. Das Dämonen-Korps muss lernen, mit dem Unerwarteten fertigzuwerden. Mal sehen, wie es mit dieser Sache zurechtkommt.«
    »Gut.« Der Zauberer drehte sich um.
    »Havarren.«
    »Ja, Euer Majestät?«
    »Behaltet alles im Auge.«
    »Natürlich, Euer Majestät.«
    Gedankenverloren betrachtete sie den kurvenreichen Verlauf der unbefestigten Straße, die man Tiehmonsweg nannte. Gelegentlich zuckten ihre Ohren, wenn kalter Wind sie berührte – eine unangenehme Erinnerung an die Steppe. Sie schnitt eine Grimasse und konzentrierte sich auf den Geruch von Gras, Laub und Erde.
    Der Tiehmonsweg gehörte zu den Straßen, die gewissermaßen die Lebensadern von Kirol Syrreth darstellten. Seit Tagen waren sie auf dieser Route unterwegs, und weitere Tage würden folgen. Er bildete eine Art Demarkationslinie zwischen den üppigen Ebenen des Südens und den kalten, öden Ländern im Norden, die an die eisige Tundra grenzten. Außerdem war der Tiehmonsweg die Hauptroute zwischen Timas Khoreth, wo das Korps die erste warme gemeinsame Nacht verbracht hatte, und der Stadt Sularaam mit dem Schloss, das die Bezeichnung »unheimlich« trug.
    Es war die private Residenz der Gemahlin des Leichenkönigs, wenn sie nicht bei ihm weilte.
    Eine kleine Gruppe von Menschen, ins traditionelle Schwarz von Morthûls Streitkräften gekleidet, tauchte an einem sanften Hang neben der Straße auf und marschierte wachsam vorbei: die Hände an den Schwertheften oder an Bögen, die Blicke argwöhnisch. Dies waren die Soldaten, die Morthûl gegen die Heere der Verbündeten Königreiche in den Kampf schicken wollte? Diese ängstlichen Narren? Katim fühlte Verzweiflung in sich aufsteigen.
    »Ausbildung«, hatte Shreckt ungeduldig am zweiten Tag erklärt, als Gork fragte, warum so viele Soldaten auf der Straße unterwegs waren. Der Wicht saß im Schneidersitz mitten in der Luft, seine Reitpeitsche mit Belrothas Rucksack verbunden, sodass die Ogerin ihn wie einen Wimpel mit sich zog. »Die meisten dieser grünschnäbligen Muttersöhnchen haben nie einen Kampf in einer wirklich feindlichen Umgebung erlebt, und deshalb bekommen sie die Ausbildung, die ihr erwartet habt.«
    Der Kobold hatte den Kopf geschüttelt. »Aber so viele? Schwächt das nicht unsere Streitkräfte an anderen Orten?«
    Der Gargoyle hatte so etwas wie »Darum kümmert man sich« gebrummt und es dabei bewenden lassen wollen. Als Gork nachhakte, hatte er den kleinen Kerl angeschrien und achtzig Liegestützen von ihm verlangt.
    Katim, die den Kobold während seiner Wachen aufmerksam beobachtet hatte, zweifelte nicht daran, dass mehr als nur gewöhnliche Neugier hinter Gorks Fragen steckte.
    Shreckt hatte auch nicht erklärt, warum er sie nicht einfach mit einem Zauber nach Sularaam brachte. Er hatte befohlen zu marschieren, und deshalb marschierten sie. Und …
    »Antreten!«
    Sie traten an.
    »Gut!« Der Wicht musterte sie der Reihe nach. »Gork!«
    Der Kobold zuckte zusammen. »Sir, ja, Sir, ja, Sir!«
    Shreckt blinzelte. »Einmal genügt, Soldat.«
    »Sehr wohl, Sir!«
    Shreckts Zeigefinger deutete nach vorn. »Lauf los und such uns einen Lagerplatz!«
    »Was? Ich, Sir?«
    »Habe ich