Die Hüter der Nacht
konnte.
5.
Fawzi Wallid, der amtierende Bürgermeister von Jericho, traf eine halbe Stunde nach Ben im Wartezimmer des Krankenhauses ein.
»Wie geht es dem jungen Beamten, Inspector?«
»Er ist in aller Eile in den OP gebracht worden. Wir werden es erst nach einer Weile erfahren.«
»Es war nicht Ihre Schuld. Sie dürfen sich keine Vorwürfe machen.«
»Er war zu jung, um an diesem Einsatz teilzunehmen. Das hätte ich wissen sollen.«
Wallid klopfte Ben leicht auf die Schulter. »Sie sollten wissen, dass sich in dem Umschlag, den Mahmoud Fasil an Abdel Sidr übergab, eine Computerdiskette mit Fasils gesamtem Netzwerk befand. Der Präsident wird sehr erfreut sein. Ich bin sicher, dass eine Belobigung erfolgt.«
»Was ist mit Sidr?«, fragte Ben.
»Unser Fußballstar behauptet, er sei nur Bote gewesen. Fasil habe gedroht, seine Familie zu töten, wenn er nicht mitmacht.«
»Vielleicht sagt er die Wahrheit.«
»Wir überprüfen seine Geschichte.« Wallid bemerkte das Blut auf Bens Hemd. »Sie sind doch nicht verletzt, Inspector, oder?«
»Es ist das Blut des jungen Beamten. Mir wäre lieber, es wäre meins.«
»Rufen Sie mich an, sobald Sie etwas erfahren.«
»Selbstverständlich.«
Flankiert von zwei palästinensischen Polizisten, ging Fawzi Wallid zur Tür, blieb noch einmal stehen und drehte sich um. »Und richten Sie dem jungen Beamten bitte meine Grüße und besten Wünsche aus.«
»Sobald es ihm gut genug geht und er mich verstehen kann.«
Ben ging über den Korridor, um seine Wache näher beim OP fortzusetzen. Das Krankenhaus war ein moderner, dreigeschossiger Komplex mit weißem Anstrich, wodurch es perfekt mit den umliegenden Gebäuden harmonierte. Es war in einem Viereck um einen Parkplatz und Innenhof angelegt, die von der Straße aus nicht zu sehen waren. Ben hoffte, einen Stuhl bei einem Fenster zu finden, das in den Hof hinausblickte, damit ihm das Gefühl der Platzangst erspart blieb, das ihn jedes Mal befiel, wenn er sich in einem Krankenhaus aufhielt.
Er trat aus dem Aufzug im zweiten Stock und prallte fast mit einer schluchzenden Frau zusammen, die sich ein feuchtes Taschentuch auf Nase und Augen presste.
»Verzeihung«, sagte Ben. »Es tut mir Leid.«
Die Frau blickte auf, sah Bens Polizeimarke von seinem Hals baumeln, sprang auf ihn zu und klammerte sich an seinem Hemd fest.
»Bitte, Sie müssen mir helfen! Mein Sohn!« Die Frau krallte die Finger in Bens schweißfeuchtes Hemd. »Mein Sohn ist tot!«
Ben schob die schluchzende Frau sanft von sich und löste behutsam ihre Hände von seinem Hemd. »Ich befürchte, ich …«
»Sie sind Polizist, nicht wahr? Dann helfen Sie mir. Helfen Sie mir!«
»Ich kann Sie an Kollegen …«
»Er wurde hergebracht.« Die Frau packte ihn wieder am Hemd. »Man hat mir nicht gesagt, dass er tot ist. Man sprach nur von einer Verletzung und bestellte mich her.«
Ben nickte. Es war eine der Verfahrensweisen, die auf seinen Rat hin von der palästinensischen Polizei eingeführt worden waren.
»Mein Telefon ging nicht mehr … Er war Stunden hier, bevor man mich erreicht hat!«
Die Frau ließ ihr Taschentuch fallen, und Ben hob es vom Boden auf.
»Er geht in Israel zur Arbeit, jeden Tag nach der Schule«, schluchzte die Frau unter Tränen. »Heute ist er dort nicht aufgetaucht, und da rief man mich an und fragte, wo er bleibt. Stunden später bekam ich wieder einen Anruf und wurde zum Hospital bestellt.« Sie blickte wieder auf. »Man hatte ihn am Straßenrand gefunden.«
»Es tut mir ehrlich Leid«, sagte Ben und bemühte sich um einen tröstenden Tonfall. »Aber bei Unfällen ermitteln …«
»Es war kein Unfall!«, rief die Frau so laut, dass sie die Aufmerksamkeit aller auf dem Korridor erregte. Sie packte Ben am Handgelenk und zog ihn näher zu sich heran. »Mein Sohn wurde erstochen. Er wurde ermordet!«
6.
Ari Hessler fuhr auf dem Rücksitz der Mercedes-Limousine mit seinem Vater zum Flughafen Ben-Gurion, wo der Privatjet wartete. Trotz der Klimaanlage des Wagens konnten sie spüren, dass die Wüstenhitze nachließ, je weiter die Fahrt nach Norden führte. Kurz bevor die Hochhäuser von Tel Aviv in Sicht kamen, beugte Paul Hessler sich nach vorn und wies seinen Fahrer an, die Klimaanlage niedriger zu stellen.
»Es lief heute Morgen gut«, sagte Ari und blickte von dem Laptop auf seinem Schoß auf.
»Diese frühzeitige Vorführung ist bloße Öffentlichkeitsarbeit«, erwiderte Paul Hessler, ohne den Blick vom Wagenfenster zu
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