Die Hüter der Schatten
das ich bis jetzt besichtigt habe. Aber wie ich Ihrem Kollegen schon beim ersten Anruf sagte, brauche ich ein, zwei gesonderte Zimmer für meine Patienten. «
»Patienten? Sind Sie Ärztin, Miss?«
»Psychotherapeutin.«
»Die Zimmer im Erdgeschoß …«
»Genügen nicht. Tut mir leid«, wiederholte Leslie. Wofür entschuldigte sie sich eigentlich? Es war doch ihre Sache. »Meine Schwester studiert am Konservatorium, und wir brauchen Platz für einen Flügel und eine Harfe.«
Seufzend zuckte der Makler die Achseln. »Dieses Haus wird schnell verkauft sein, wissen Sie. Ich habe noch drei Kunden, die es sich anschauen wollen. Ich kann Ihnen nicht garantieren, das Angebot bis Montag aufrechterhalten zu können.«
»Das Haus ist nicht groß genug«, wiederholte Leslie und betrachtete noch einmal betrübt die Aussicht, mit der sie zu gern gelebt hätte.
Der Makler hatte Leslies bedauernden Blick bemerkt, witterte seine Chance und hakte sofort nach. »Wissen Sie, eine der Familien, die sich für dieses Haus interessieren, hat drei Kinder im Teenageralter. Die beiden Mädchen sollen in dem kleinen Zimmer wohnen, das ich Ihnen gezeigt habe, und der Junge soll die Mansarde bekommen. Sie könnten doch den kleinen Raum neben der Garage als Praxis einrichten, und das Klavier kann man ins Wohnzimmer stellen …« Sein Tonfall war der eines wohlmeinenden, vernünftigen Mannes, der sich mit einer törichten Frau herumschlägt, die nicht weiß, was sie will. »Ich finde, Sie machen einen großen Fehler«, erklärte er, als Leslie den Kopf schüttelte. »Zumal ich Ihnen nichts anderes mehr zeigen kann. Allenfalls noch das Haus in Geary …«
»Wo es keine Parkplätze gibt. Außerdem will ich nicht in eine Gegend ziehen, wo meine Schwester und ich uns nach Anbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße wagen können.«
Der Makler zuckte die Achseln. »Ich fürchte, Sie sind zu wählerisch. Aber gut, wenn wir noch etwas hereinbekommen, rufe ich Sie an. Aber etwas Größeres als dieses Haus werden Sie nicht finden. Es sei denn, Sie wollen eine halbe Million Dollar anlegen.«
Die Bemerkung ›Sie sind zu wählerisch‹ ging Leslie durch den Kopf, als sie zu ihrem Auto ging und dem Makler hinterherschaute, der in seinem Wagen davonfuhr. Aber es war ihr gutes Recht, wählerisch zu sein. Schließlich mußte sie in dem Haus wohnen, das sie kaufen wollte – vielleicht ihr Leben lang. Einen weiteren Umzug konnte sie sich in den nächsten zehn Jahren nicht leisten. Und sie war nicht sicher, ob eine Ehe das Richtige für sie war, obwohl Joel …
Leslies Gedanken schlugen einen vertrauten Pfad ein. Wenn Joel nur begreifen würde, daß ihr die Arbeit ebenso wichtig war wie ihm seine Anwaltskarriere. Ihr Beruf war nicht bloß ein Lückenfüller, bis ihr Märchenprinz auftauchte.
Ihren Patienten riet Leslie stets, keine feste Beziehung einzugehen, wenn man sich von dieser Bindung versprach, den Partner ändern zu können. Joel war das beste Beispiel. Entweder sie nahm ihn, wie er war, und heiratete ihn mit all seinen Fehlern und Schwächen, oder sie gab ihm den Laufpaß. Ändern jedenfalls würde Joel sich nie. Nicht um ihretwillen, höchstens aus eigenen Beweggründen.
Wie dem auch sei – Leslie würde lange Zeit in ihrem neuen Zuhause leben müssen und mußte ihre Wahl entsprechend sorgfältig treffen. Eine andere Stadt als San Francisco kam für sie nicht in Frage. Jetzt, da Emily das Konservatorium besuchte, konnten sie nicht mehr an der East Bay wohnen. Die lange tägliche Pendelfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln war kostspielig, zeitaufwendig und zehrte an den Kräften und Nerven, die Emily dringend für das Klavierspielen benötigte.
Als Leslie die Auffahrt zur Bay Bridge einschlug, fragte sie sich, ob der Makler nicht doch recht hatte. Verlangte sie nicht wirklich zuviel? Emilys Flügel paßte ins Wohnzimmer. Und sie selbst hatte ohnehin den halben Tag und länger mit ihren Patienten zu tun. Den kleinen ebenerdigen Raum neben der Garage könnte man ohne viel Aufwand als Sprechzimmer ausstatten. Schlimmstenfalls konnte sie sich anderswo ein Büro mieten und den Raum als Praxis einrichten. Dort, wo sie und Emily derzeit zur Miete wohnten, konnten sie jedenfalls nicht bleiben. Es war schon für eine Person ziemlich eng, doch seit die Schwestern zusammengezogen waren, platzte das Haus aus allen Nähten, denn es mußte Leslies Praxis und Emilys Musikzimmer beherbergen.
Außerdem konnten die Schwestern sich von dem kleinen
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