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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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das schon? Wir können uns nicht aussuchen, wen wir lieben. Es ist einfach so geschehen. Wir waren Nachbarskinder, haben zusammen gespielt, geredet, gelacht. Eines Tages konnten wir ohne einander nicht mehr sein. Gott – wie jung wir damals noch waren! Unsere Väter waren beide Brauer und Gastwirte, eher Konkurrenten als Freunde. Zum blauen Löwen hieß das Anwesen meines Vaters, Unter den Störchen das, das ihrem Vater gehörte. ›Löwen und Störche passen nicht zusammen‹, hat sie stets im Scherz gesagt. Damals hab ich sie ausgelacht, aber sie war klüger als ich, viel klüger als ich, damals schon.«
    Simon war blass geworden.
    »Marie«, sagte er leise. »Sie hieß Marie, nicht wahr?«
    »Ja. Marie. Genau. Woher weißt du das? Marie Haller. Und ihr Vater Pankraz war …«
    »Weil Marie die Frau meines Vaters ist. Und meine Stiefmutter.«

    Die ganze Nacht hatte die Katze wie ein Steingewicht auf ihm gehockt und ihm ihren stinkenden Atem ins Gesicht gefaucht. Kurz vor dem Aufwachen glaubte er ihre Krallen zu spüren, die tief in sein Fleisch fuhren, aber als er sich schlaftrunken vergewisserte, war es dann doch nur das Kreuz des Rosenkranzes, das sich in seine Rippen gebohrt hatte. Förner legte ihn schon seit langem nicht mehr ab, und dennoch glaubte er zu spüren, wie der Schutz der funkelnden Bergkristallperlen schwächer und schwächer wurde.
    »Mein Gott und mein Herr«, begann er murmelnd, während er sich ankleidete, ohne der verhassten Fleischlichkeit seines Körpers auch nur einen Blick zu gönnen, »nimm alles von mir, was mich hindert zu dir. Mein Gott und mein Herr, gib mir alles, was mich fördert zu dir …«
    Sollte er mit dem Schmerzhaften Rosenkranz weiterfahren? Er betete ihn weniger gern, seit er die Korallen vermisste, die ihn vor Hexerei geschützt hatten. Nein, er wusste da etwas sehr viel Besseres!
    Friedrich Förner griff nach dem Stachelband, das er in einer Schublade verwahrte, und öffnete die Soutane. Er legte es an, zog es fest. Der jähe Schmerz ließ sein Gesicht aufleuchten.
    Jetzt war er für die Messe bereit.
    St. Martin war bis zum letzten Platz gefüllt, aber es gab niemanden, den man hätte abweisen müssen. Nahm die Bußfertigkeit der Menschen bereits wieder ab? Glaubten sie vielleicht, all die Gefährlichkeit der Druten habe bereits den Zenit überschritten und man könne ruhigen Gewissens zum Alltag zurückkehren?
    Friedrich Förner belehrte sie mit seiner Predigt eines Besseren. Er musste sich nicht einmal anstrengen; alles strömte einfach aus ihm heraus. Niemals zuvor waren seine Worte so präzise gewesen, seine Bilder so lebendig. Schon nach den ersten Sätzen begannen einige Weiber zu weinen, und als er fortfuhr, sicherer und noch überzeugter denn je von seiner heiligen Mission, erkannte er zu seiner Befriedigung, wie Grauen, Angst und Abscheu nach und nach die Gesichter unter ihm veränderten.
    In ihm wurde es still.
    Als kleiner Junge war er einmal mit seiner Schwester Barbara über ein Schneefeld gelaufen, so weiß und unberührt, als hätte Gott es eben erst erschaffen. Sie hatten sich an den Händen gehalten und nichts geredet, auch dann nicht, als sie längst wieder zu Hause angelangt waren. Das war ihr Geheimnis, etwas Wunderbares, das sie mit keinem aus der Familie jemals geteilt hatten. Friedrich Förner hatte vergessen, wie sehr er sich nach dieser Stille gesehnt hatte, dieser Reinheit. Dieser Ruhe.
    Nun endlich kehrte die ganze Süße jenes Augenblicks zurück.
    »Die Zauberinnen sollt ihr nicht leben lassen!« Seine Barbara war lange tot, aber jene Unholde waren noch am Leben, bereit, Unschuldige zu verderben. Doch er würde all dem ein Ende bereiten, ein brennendes, heiliges Ende! »So steht es schon in der Heiligen Schrift geschrieben. Und wer es dennoch tut, macht sich schuldiger noch als jene. Wollt ihr euch über das Wort des Allmächtigen erheben, ihr gottlosen Sünder?«
    Die Köpfe in den Kirchenbänken waren inzwischen angstvoll gesenkt; doch die Herzen seiner Schafe, das wusste er, die hatte er erreicht.
    Auch wenn die kleine Lerche heute wieder nicht zu hören gewesen war. Es gelang ihm, die Ungeduld zu zähmen. Bald würde der Junge ihm gehören. Dann musste er Antons Knabensopran nie mehr entbehren.
    Er ließ sich von Gabriel Hofmeister beim Umkleiden behilflich sein. Förner schwitzte, fühlte sich nach dieser Predigt gestärkt und gereinigt. Selbst wenn der junge Sekretär den Stachelfreund an seinem Schenkel gesehen hätte, so wäre

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