Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
Schrift ist es so. Aber wie soll ein winziges Holzfigürchen das bewerkstelligen? Dagegen die göttliche Jungfrau, in ihrem roten Kleid und dem blauen Mantel …«
    »Wie kann Maria Jungfrau sein, wo sie doch eben ein Kind geboren hat?«
    Veit erhob sich so abrupt, dass er den Stuhl umstieß.
    »Du machst mir Kopfschmerzen mit deinen theologischen Spitzfindigkeiten«, sagte er. »Und mein Magen rebelliert auch schon. Ob der Fasan zu lange gehangen hat? Ich muss dringend ein paar Schritte gehen!«
    Sie blieb allein zurück, mit der Göhlerin, die das meiste des Abwaschs bereits erledigt hatte und gerade die abgetrockneten Teller in den Schrank räumte. Sonst beschränkte die ältere Frau sich meist auf viel sagende Blicke und ließ höchstens mal ein Brummen hören, wenn ihr etwas besonders missfiel, heute aber trug sie das Herz auf der Zunge.
    »Wird Zeit, dass wieder eine Herrin das Haus regiert«, sagte sie. »Kein Mann. Und erst recht kein Kind.«
    »Du meinst also, ich mache alles falsch?«, sagte Marie. »Was soll ich denn tun? Ihnen nachlaufen? Das kann ich nicht!«
    »Nein, du sollst ihnen deutlich machen, wo ihr Platz ist. Dem Kind. Und erst recht dem Mann. Wie sonst soll hier jemals wieder Ordnung einkehren?«
    Ein Klopfen an der Türe. Theres Göhler ging öffnen, Marie hörte sie draußen reden, nach einer Weile kam sie mit verdrießlichem Gesicht zurück.
    »Bettler«, sagte sie. »Eine Horde schmutziger Kinder. Ich hab ihnen Brot gegeben. Doch deshalb sind sie nicht gekommen. Sie haben nach Selina gefragt.«
    »Nach Selina? Weshalb?« Ihre Schläfen begannen zu pochen.
    »Das wollten sie mir nicht sagen. Nur der Mutter oder dem Vater. Das Lumpenpack scheint sehr genaue Vorstellungen zu haben.«
    »Sie warten noch immer?«
    Die Göhlerin nickte.
    »Dann führ sie herein!«

    Tonis Gesicht war kalkweiß und winzig, als er an der Seite des Weihbischofs aus dem Keller zurückkam. Sogar die riesige Eingangshalle, die er zuvor kaum wahrgenommen hatte, erschien ihm auf einmal bedrohlich. Nicht mehr lang, versuchte er sich selber Mut zuzusprechen, und du bist wieder bei den anderen. Die haben Lenchen inzwischen sicherlich gefunden. Alles wird gut.
    Doch das wunde Gefühl in seiner Brust wollte nicht vergehen.
    »Hast du dir alles angesehen, Anton?«, fragte Förner. »Ganz genau, wie ich es dir gesagt habe?«
    Toni nickte.
    Es ging den schwarzen Prediger nichts an, dass er schon beim Eintreten die Augen zu Schlitzen verengt hatte, sodass er gerade noch hell und dunkel unterscheiden konnte und nirgendwo anstieß. Nein, gesehen hatte er zum Glück so gut wie nichts, doch er hatte leider nicht mit den Ohren gerechnet. So musste er wehrlos alles über sich ergehen lassen, was der andere an fürchterlichen Einzelheiten über den Zug, die Daumenschrauben, das Ätzbad und die Eiserne Jungfrau gesagt hatte. Der Junge sehnte sich danach, die Hände auf die Ohren zu pressen und endlich Ruhe zu haben.
    »Schade, dass die Herren Hexenkommissare gerade nicht anwesend waren«, hörte er ihn weiterreden. »Aber es wird sicherlich ein anderes Mal Gelegenheit sein, sie dir persönlich vorzustellen …«
    Förner hielt plötzlich inne.
    Eine Frau stand vor ihnen, blond und üppig, in einem blauen Kleid, das aussah, als hätte sie es zu heiß gewaschen. Sie hielt ein unförmiges Ding in der Hand, das mit Sackleinen verhüllt war. Ihr folgte eine junge Magd, die einen kräftigen kleinen Jungen trug.
    »Eminenz!« Sie griff nach Förners Hand und machte Anstalten, sie zu küssen. »Dass ich ausgerechnet Euch hier antreffe.« Die hellen Augen richteten sich gen Himmel. »Das muss ein Zeichen sein – ein göttliches Zeichen!«
    »Was willst du?«, sagte Förner barsch und zog die Hand zurück.
    »Ich muss zur Hexenkommission. Dringend.« Sie befeuchtete ihre Lippen und lächelte kokett. »Ich bin Agnes Pacher, die Ehefrau des Holzhändlers Pacher, und habe eine Anzeige zu machen. Das widerliche Teufelsding, das sie uns untergeschoben hat, hab ich zur Sicherheit gleich mitgebracht!«
    Toni wich zurück. Das war sie, die Frau, die er gestern im Morgengrauen in der Langen Gasse beobachtet hatte!
    »Mäßige dich«, sagte der Weihbischof streng. »Und beginne von vorn, schlicht und wahrheitsgemäß. Was bringst du uns hierher?«
    Agnes stellte ihre Last auf einer Truhe ab.
    »Das hab ich heute Morgen vor meinem Haus gefunden«, sagte sie. »Im Erdreich versteckt. Meine älteste Tochter ist darübergestürzt und hat sich verletzt.

Weitere Kostenlose Bücher