Die Hüterin der Quelle
es ihm heute gleichgültig gewesen.
»Kann ich für Euch etwas tun, Monsignore?«, fragte Hofmeister. »Irgendwelche neuen Aufträge?«
»Später«, sagte Förner. »Ich werde mich noch einmal über die Drutenakten setzen. Zunächst jedoch will ich mit Anton hinauf zur Alten Hofhaltung. Es kann nicht schaden, wenn der Junge sieht, was ein Hexenkommissar zu leisten hat.«
»Ihr wollt ihn tatsächlich zu Vasoldt und den anderen bringen?«
Förner nickte.
»Und vor allem den Keller werd ich ihm zeigen. Damit die kleine Lerche endlich versteht, worum es geht.«
»Aber er ist doch noch ein Kind …«, entfuhr es Hofmeister.
»Gerade deshalb«, sagte Förner. »Weil er noch ein Kind ist. Auch Kinder verschreiben ihre zarten Seelen dem Bösen, das weißt du doch, mein Sohn. Dann müssen auch sie im Feuer gereinigt werden, nicht anders als die der Großen. Beelzebub macht vor niemandem Halt, vor keinem Stand, keinem Geschlecht, keinem Alter. Anton hat ein empfindsames Gemüt. Nach diesem Erlebnis wird er ergreifender singen als je zuvor. Das ist gewiss.«
Zum ersten Mal in seinen Diensten überfiel Gabriel Hofmeister Grauen, als er den Weihbischof betrachtete. Die Wangen so eingefallen, die Augen tief in den Höhlen. Sein Fleisch schien mehr und mehr zu schwinden. Die Arme ragten knochig aus der Soutane, die Finger waren dürr wie Stecken. Als ob eine innere Flamme ihn verbrenne. Mitgefühl für den Jungen stieg in ihm auf.
»Soll ich mitkommen?«, bot er an. »Ich könnte vielleicht …«
»Bemüh dich nicht«, sagte Förner. »Das ist eine Angelegenheit zwischen Anton und mir.«
Natürlich hätte Marie am liebsten mit Veit über Ava geredet und das, was sie von ihr erfahren hatte, aber er war beim Mittagessen so verschlossen, dass auch sie kaum ein vernünftiges Wort herausbrachte. Selina setzte der allgemeinen Stummheit am Tisch noch eins drauf, indem sie schweigend in ihrem Wild herumstocherte und den Blick nicht vom Teller hob.
Kaum erschien die Göhlerin zum Abtragen, stand sie auf und schoss aus dem Zimmer. Wenig später hörte Marie die Haustür zuschlagen.
»So geht das nicht weiter.« Veit schien langsam aus seiner Agonie zu erwachen.
»Das finde ich auch.« Sie sah ihn fest an.
»Unternimm endlich etwas. Sie tanzt uns doch auf dem Kopf herum!«
»Sie ist deine Tochter, nicht meine, und es vergeht kein Tag, wo sie mich das nicht spüren lässt. Du musst dich darum kümmern! Oder fürchtest du dich vielleicht vor deinem eigenen Kind?«
Zu Maries Überraschung nickte er langsam.
»Manchmal«, sagte Veit. »Ja. Obwohl es mir schwer fällt, es zuzugeben. Ich kann sie nicht mehr erreichen, Marie! Egal, was ich tue. Was hab ich nur verbrochen? Ich weiß es nicht, aber es muss etwas Furchtbares sein, denn Selina meidet mich wie der Teufel das Weihwasser!«
»Selina kriegt mehr mit, als du glaubst. Vielleicht solltest du ehrlicher zu ihr sein.« Sie spürte, wie ihr Herz laut zu klopfen begann, aber sie sprach weiter. Vielleicht war er ja mutig genug, sich endlich zu offenbaren. »Und nicht nur zu ihr, Veit. Du lebst, als seiest du ganz allein auf der Welt. Du tust, was du willst. Wir kommen darin gar nicht mehr vor.«
»Das ist nicht wahr! Alles, was ich tue, tue ich für dich – für euch! Es ist eine harte Zeit, ich weiß, nicht nur für mich, für uns alle. Aber wenn Simon erst einmal zurück ist und diese Plackerei mit der Krippe ein Ende hat, werden wir …«
Marie spürte, wie eine Tür in ihr zuschlug. Und dennoch wagte sie noch einen Vorstoß.
»Warum zeigst du mir nicht endlich den Marienkopf, den du geschnitzt hast?«, unterbrach sie ihn.
»Den Marienkopf?«, wiederholte er gedehnt. Sie spürte, wie er versuchte, Zeit zu gewinnen. »Jederzeit. Warum nicht? Sobald er fertig ist.«
»Das ist er noch nicht?« Ihre Stimme schwankte leicht. »Du musst dich also weiterhin nächtelang in der Werkstatt einsperren?«
»Ja. Noch eine ganze Weile. Leider! Der Fürstbischof will an Weihnachten die fertige Krippe haben – was bleibt mir also anderes übrig? Und was den Kopf betrifft: Die Muttergottes ist das Herz jeder Krippe, das verstehst du doch, Feuerfüchslein? Von ihr hängt alles ab. Sie ist das Zentrum, die Mitte, in der alles zusammenläuft. Und deshalb schwieriger zu gestalten als alle anderen Figuren zusammen.«
»Und ich dachte immer, das Jesuskind sei der Mittelpunkt. Unser Heiland. Das Licht der Welt.« Ihre Augen ließen ihn nicht los.
»Ja, natürlich, nach der Heiligen
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