Die Hüterin der Quelle
Schopf wirkten ihre Augen fast schwarz. »Ist sie nicht noch ein bisschen zu jung dafür?« Sie kam ihm bekannt vor. Er hatte sie schon gesehen. Aber Veit wusste nicht mehr, wo es gewesen war.
»Das Leben hat sie nicht danach gefragt.« Ava drückte das Kind an sich. »Ich bin froh, dass sie die anderen hat.«
»Nächste Woche?«
Er hatte so leise gesprochen, dass sie sich unwillkürlich vorgebeugt hatte. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass der dicke Frankfurter zu ihnen herüberstarrte. Und noch einen Gaffer gab es, ein hoch gewachsenes, schlankes Mädchen mit dunklen Locken, das sich jetzt seitlich an einen der Stände drückte, weil es offenbar nicht gesehen werden wollte.
»Wenn der Mond voll ist«, sagte sie. Es durfte nicht zu schnell geschehen. Sie wollte noch weiter in ihrem Traum wohnen. »Ich will es versuchen.«
»Ich freue mich«, sagte er. »Und ich danke dir.«
Etwas Warmes strömte in ihren Bauch. Die Kälte, der Hagel, all die toten Pflanzen und Tiere waren vergessen. Plötzlich war der Tag weich und still. Er würde kommen. Jetzt erst wusste sie, dass es ihn wirklich gab.
»Du kennst mein Haus, unten am Fluss?«
Der Krippenschnitzer nickte.
Dann streckte er seine Hand aus und streichelte vorsichtig über das helle Köpfchen mit den Nissen.
ZWEI
D a war diese Hitze in seinem Körper. Und ein stechender Schmerz, im rechten Ellenbogen und in der Schnitzhand, der ihn zwang, langsamer zu arbeiten. Er hatte schlecht geschlafen und noch schlechter geträumt, war lang vor der Dämmerung aufgewacht, zerschlagen und missmutig. Am liebsten hätte Veit Sternen das mit raschen Schnitten gefertigte Modell zweier kämpfender Widder an die Wand geworfen und wäre nach draußen gerannt, aber die Zeit drängte. Der Fürstbischof war ein ungeduldiger Auftraggeber, jetzt, da er sich endlich entschlossen hatte.
Die Werkstatt war enger geworden, seit sie zur Hobelbank auch noch den Zeichentisch hineingezwängt hatten, an dem Simon arbeitete. Morgenlicht fiel auf sein blasses Gesicht, die dunkelblonden Haare, die schlanke Linke, die die Kreide über das Papier führte. Er hatte die gebogene Nase seiner Mutter und war Francesca im Profil so ähnlich, dass Veit beklommen zumute wurde. Sie war ihm sehr fern geworden in letzter Zeit – ebenso wie ihr Sohn. Aber war es nicht immer schon so gewesen? Francesca und Simon gehörten zusammen, während Selinas Platz von jeher bei ihm gewesen war.
Simon liebte seine neue Aufgabe, zeichnete bereits, wenn der Vater die Werkstatt betrat, verließ seinen Platz mittags nur, um zerstreut etwas hinunterzuschlingen, und war auch abends kaum zum Aufhören zu bewegen. Manchmal kam er ihm so entrückt vor, dass er ihn am liebsten geschüttelt hätte.
»Es ist erst der Anfang«, wollte er zu ihm sagen. »Bevor das kostbare Holz an die Reihe kommt. Du musst lernen, Maß zu halten. Das ist das Wichtigste. Wenn du so weitermachst, wirst du vor dem Ziel verbrennen.«
Aber er hielt nicht Maß, er brauchte keins.
Simon war jung, voller Elan und schien über unerschöpfliche Energien zu verfügen, während Veit von Tag zu Tag deutlicher zu spüren bekam, welch enge Grenzen seiner Kraft gesetzt waren. Es hatte ihn Überwindung gekostet, den Jungen dieses Mal von Anfang an einzubeziehen, aber inzwischen war er froh, dass er sich zu diesem Schritt entschlossen hatte.
Fuchs von Dornheim hatte den Ausschlag dazu gegeben.
»Ich bin froh, dass wir Euch gewinnen konnten«, sagte er, nachdem in der heiklen Frage der Honorierung endlich ein Kompromiss gefunden worden war. Sein Kämmerer hatte sich eingemischt, ein spitznasiger Kleriker mit scharfen Magenfalten, der so geschwind Zahlen auf ein Blatt Papier schrieb, dass einem ganz schwindelig dabei werden konnte. Und noch ein Dritter war dabei gewesen, Weihbischof Friedrich Förner, in seiner zerschlissenen Soutane hager und dunkel wie ein Totengeist. »Ihr wisst, was wir von Euch erwarten. Keine leichte Aufgabe. Denn das scheinbar Einfache entpuppt sich oft als das Schwierigste.«
Veit Sternen verneigte sich leicht.
»Es ist mir eine Ehre, meiner Heimatstadt auf diese Weise dienen zu dürfen, Exzellenz«, sagte er. »Ihr werdet gewiss nicht enttäuscht sein. Die Bilder des Südens leben in mir. Jetzt aber werden sie sich mit den Eindrücken des Nordens vermischen.«
»Der Süden – ja.« Der Fürstbischof klang plötzlich sehnsuchtsvoll. »Wisst Ihr, dass ich Euch um die Jahre dort beneide? Das Licht, die Weite, die Sonne, das hat der
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