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Die Hüterin des Schattenbergs

Die Hüterin des Schattenbergs

Titel: Die Hüterin des Schattenbergs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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zuvor in das dunkle T uch eingeschlagen hatte. Ohne den Stoff zu entfernen, stieg er die Stufen der eigens dafür gezimmerten Empore hinauf, bis er den Rand des Glaszylinders erreicht hatte. Sein Kopf stieß fast an die Decke des Gewölbes, als er stehen blieb und kurz verharrte, ehe er einen tiefen A temzug nahm und das T uch zurückschlug. Hätte ihn jemand beobachtet, er wäre enttäuscht gewesen, denn der Stein, der darunter zum V orschein kam, sah unscheinbar aus. Dennoch war er das Ergebnis jahrelanger, geheimer Forschungen; ein geniales Meisterstück, das die Macht besaß, den Menschen die Kräfte des Bösen aus der Seele zu reißen, und sie für immer in die T iefen des Schattenbergs zu verbannen. Orekh musste nur loslassen, dann würde Frieden herrschen. Dann würden die Menschen endlich frei sein.
    »Für Frieden und Freiheit.«
    Eine W oge des Glücks durchflutete Orekh, während er die A ugen schloss und sich auf die magischen W orte konzentrierte, die für immer trennen würden, was keine Macht der W elt bisher hatte entzweien können.
    Seine W orte. Seine Macht. Sein Sehnen.
    Er war am Ziel. W as zählte der Einzelne, wenn ein V olk – wenn zwei V ölker – gerettet werden konnten?
    Ein letztes A temholen, ein letzter Blick. Dann ließ Orekh den Stein in die Flüssigkeit fallen und begann, die magischen W orte zu sprechen …

Am Nebelsee

1
    J emina erwachte von dem Gefühl, allein zu sein.
    Fröstelnd richtete sie sich auf, hauchte die kalten Finger an und schaute sich um. Dichter Nebel hing träge zwischen den Büschen und Bäumen, die das Ufer des Stillen Flusses säumten. Obwohl es Frühling war und schon hell, war kein Laut zu hören. Jemina hielt den A tem an und lauschte – nichts. A n diesem Morgen, so schien es, machte der Fluss seinem Namen alle Ehre. Ihr Blick fiel auf die erkaltete A sche des Feuers. Efta hatte es noch nicht entzündet, obwohl sie schon aufgestanden sein musste, denn ihr Lager war leer.
    Der A nblick weckte leise V erwunderung in Jemina, aber die Barke lag noch so am Ufer, wie die beiden Frauen sie am A bend verlassen hatten. Efta musste also ganz in der Nähe sein. Die Hüterin hatte Jemina im A lter von vier Sommern erwählt und als Elevin zu sich geholt, damit Jemina eines T ages ihren Platz im A chten Hüterzirkel nach Orekh einnehmen konnte. Zehn Jahre waren seitdem vergangen. Efta unterrichtete Jemina in allen Dingen, die eine angehende Hüterin erlernen musste und sorgte zugleich so liebevoll und aufopfernd für sie, als wäre sie ihre leibliche Mutter.
    Meine Mutter … Jemina lächelte versonnen. Sie konnte sich kaum noch an ihre Familie erinnern, empfand dies aber nicht als V erlust. Bei Efta führte sie ein Leben ohne Not, geborgen, umsorgt und geliebt. Und der Gedanke, später selbst einmal eine Hüterin zu sein, erfüllte sie mit Freude.
    Der Zirkel der Hüter bestand aus zehn Erwählten, deren V orfahren acht Generationen zuvor von Orekh, dem mächtigsten Magier aller Zeiten, höchstpersönlich ernannt und ausgebildet worden waren.
    Orekh, der Retter, dem es gelungen war, das Böse auf ewig in den Schattenberg zu verbannen. Orekh, der Friedenstifter, der den zerstörerischen Krieg zwischen den Ursketen im Norden und den Selemiten im Süden beendet und beide V ölker zu dem mächtigen V olk der Selketen vereint hatte. Orekh, der W eise, der schon zu Lebzeiten dafür Sorge getragen hatte, dass all dies auch nach seinem T od Bestand haben würde. Orekh, der Große, von dem auch nach acht Generationen nur in Ehrfurcht und Dankbarkeit gesprochen wurde.
    Der Zirkel der Hüter und die Kaste der Magier waren es, die Orekhs Erbe bewahrten. Beide wurden im ganzen Land geachtet und verehrt. Unzählige Selketen strebten danach, in den Zirkel der Hüter aufgenommen zu werden. Doch nur wenigen wurde die Gunst zuteil, im Kindesalter als Elev erwählt zu werden.
    Jemina atmete tief ein. Sie war stolz und glücklich, auserwählt zu sein – ganz besonders an diesem Morgen, der einer der letzten ihrer Elevenzeit sein würde. Seit drei T agen schon war sie mit Efta in der kleinen Barke auf dem Stillen Fluss unterwegs zum Nebelsee. Dort fanden an einer geweihten Stätte die geheimen T reffen der Hüter statt. Die Zusammenkünfte waren äußerst selten, da die Hüter über das ganze Land verstreut an Orten lebten, die Orekh ihren V orgängern einst zugewiesen hatte.
    Für Jemina war es die erste Reise zum Nebelsee. Efta hingegen kannte den W eg, auch wenn das letzte T reffen

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