Die Hüterin des Schattenbergs
verstummte und schien etwas zu überlegen. Sein Blick streifte Jemina, die das Gespräch mit wachsendem Unbehagen verfolgte. Dann schüttelte er den Kopf. »Es tut mir leid, Rik, dass du es so erfahren musstest. Nach der V ersammlung werde ich dir meine Entscheidung mitteilen, das ist dein gutes Recht. A ber hier und jetzt ist weder der richtige Ort noch die richtige Zeit, um darüber zu sprechen. So bleibt mir nur, dich um Geduld zu bitten, bis ich dir deine Fragen auf dem Heimweg beantworte.«
»Alle?« Rik warf Galdez einen prüfenden Blick zu. Er wirkte immer noch aufgewühlt, aber die Offenheit seines Meisters schien ihn etwas beruhigt zu haben.
»Alle.« Galdez nickte ernst. »Das verspreche ich.«
Rik zögerte, dann straffte er sich und sagte mit fester Stimme: »Ich nehme dich beim W ort.«
»Nichts anderes hätte ich von dir erwartet.« Galdez drehte sich um, weil ein weiterer Hüter zu ihnen an die Feuerstelle getreten war, der Galdez begrüßen wollte. Gemeinsam gingen die Hüter fort.
Es entstand eine kurze Pause, während Rik Galdez hinterherschaute und Jemina nervös nach W orten suchte. »Es … es tut mir leid, dass ihr meinetwegen Unstimmigkeiten habt«, sagte sie leise.
»Unsinn, dich trifft keine Schuld.« Rik seufzte und setzte sich ans Feuer, Jemina tat es ihm nach. »Wir sprechen schon eine ganze W eile darüber … Das heißt, ich will darüber sprechen, aber Galdez ist mir bisher immer ausgewichen. Dass ich so von seinen Plänen erfahren habe, habe ich mir selbst zuzuschreiben. Man sollte keine Gespräche belauschen, die nicht für die eigenen Ohren gedacht sind.«
»Nun, immerhin ging es um dich«, sagte Jemina. »Da wäre ich auch neugierig geworden.«
»Wirklich?« Rik schaute sie aufmerksam an.
»Ja, sicher. Das … das ist doch nur natürlich.« Jemina spürte, wie sich ihre W angen röteten. Hastig schaute sie zu Boden und wechselte das T hema. »Weißt du, was für eine Prüfung mich erwartet? Ich … ich versuche schon so lange, etwas darüber zu erfahren, aber Efta hüllt sich in Schweigen.«
»Hast du A ngst?«, wollte Rik wissen.
»Ein wenig.« Jemina vermied es, ihn noch einmal anzusehen und starrte stattdessen ins Feuer.
»Die Prüfung abzulegen, erfordert Mut, habe ich gehört«, sagte Rik nach einer W eile.
»Eine Eigenschaft, die jeder gute Hüter mitbringen sollte«, mischte sich Galdez, der zurückgekehrt war, in das Gespräch ein. Er setzte sich neben Rik und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Aber darüber solltet ihr euch jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Heute A bend wollen wir das W iedersehen feiern und uns nicht mit trüben Gedanken plagen.«
2
D ie Gespräche der Hüter zogen sich bis weit in die Nacht hinein; selbst als sich die ersten Eleven in ihre Decken hüllten, wurden sie nicht leiser.
Jemina war enttäuscht. Obwohl sie die Letzte der Eleven war, die noch am Feuer ausharrte, brachte niemand das T hema auf den morgigen T ag. Ihre Hoffnung, etwas über die Prüfung zu erfahren, schwand. Sie hatte wie selbstverständlich angenommen, dass sich an diesem A bend alles um die bevorstehende Prüfung drehen würde. A ber außer den vielen Fragen, die man ihr nach der A nkunft gestellt hatte, schienen alle Hüter den eigentlichen Grund für das T reffen vergessen zu haben.
Schließlich gab sie es auf und legte sich wie die anderen zur Ruhe. Die Reise war anstrengend gewesen und es konnte nicht schaden, am T ag der Prüfung ausgeschlafen zu sein. Eine W eile lauschte sie noch dem auf- und abschwellenden Sing-Sang der Stimmen und dem beruhigenden Knistern des Feuers, dann fielen ihr die A ugen zu und der Schlaf trug sie mit sich fort.
»… können die nicht aufpassen? V erschwatzen die halbe Nacht und vergessen darüber, neues Holz auf das Feuer zu legen. A llwissende Hüter, pah … wenn einige von denen die Eleven nicht hätten, wären sie längst erfroren.«
Jemina erwachte. Blinzelnd öffnete sie die A ugen und sah, dass das Feuer heruntergebrannt war. Rik hockte davor und versuchte gerade, es wieder zu entfachen. Offenbar war er der Erste, der aufgestanden war, denn rings um die Feuerstelle entdeckte sie nur schlafende Gestalten.
Jemina betrachtete Rik aufmerksam. A m A bend hatte sie ihn für fast gleichaltrig gehalten, aber er musste älter sein. Obwohl er sich sorgfältig rasiert hatte, wie es sich für einen Elev gehörte, war selbst in dem schwachen Licht ein leichter Bartwuchs zu erkennen, der seinem Kinn und den W angen einen dunklen
Weitere Kostenlose Bücher