Die Huette
Wangen.
»Glaube niemals, dass das, was mein Sohn aus eigener Entscheidung tat, für uns kein großes Opfer war. Die Liebe hinterlässt immer deutliche Spuren.« Sie sprach sanft und leise. »Wir waren zusammen dort.«
Mack war überrascht. »Am Kreuz? Aber ich dachte, du hättest ihn verlassen. Du weiß schon: >Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?<« Dieser Satz aus dem Evangelium hatte Mack in der Zeit der Großen Traurigkeit regelrecht verfolgt.
»Du missverstehst das Mysterium, um das es dabei geht. Ungeachtet dessen, was er in jenem Augenblick empfunden haben mag, habe ich ihn niemals verlassen.«
»Wie kannst du das sagen? Du hast ihn im Stich gelassen, genauso wie du mich im Stich gelassen hast!«
»Mackenzie, ich habe ihn niemals verlassen, und ich habe auch dich niemals verlassen.«
»Das ergibt doch keinen Sinn!«, entgegnete Mack heftig.
»Noch sieht es für dich so aus, das weiß ich. Aber überlege bitte einmal: Wenn alles, was du sehen kannst, dein Schmerz ist, verlierst du mich dann nicht aus dem Blick?«
Als Mack nicht antwortete, wandte sie sich wieder ihrer Küchenarbeit zu, so als wollte sie ihm etwas Raum zum Nachdenken lassen. Wie es schien, war sie dabei, mehrere Gerichte gleichzeitig zuzubereiten, wobei sie verschiedene Gewürze und andere Zutaten hinzugab. Sie summte eine ergreifende kleine Melodie, während sie letzte Hand an den Auflauf legte, den sie vorbereitet hatte. Dann schob sie ihn in den Backofen.
»Vergiss nicht, die Geschichte endete nicht mit diesem Gefühl der Verlassenheit. Er fand seinen Weg hindurch und legte sein Leben völlig in meine Hände. Oh, war das ein wunderbarer Augenblick!«
Mack lehnte sich verwirrt gegen die Anrichte. Seine Emotionen und Gedanken wirbelten wild durcheinander. Ein Teil von ihm wollte alles glauben, was Papa sagte. Das wäre wirklich schön gewesen! Aber ein anderer Teil protestierte heftig: »Das kann einfach nicht wahr sein!«
Papa nahm die Eieruhr, zog sie auf und stellte sie vor ihnen auf den Tisch. »Ich bin nicht der, für den du mich hältst, Mackenzie.« Ihre Worte klangen weder wütend noch rechtfertigend.
Mack schaute sie an, schaute auf die Küchenuhr und seufzte. »Ich fühle mich völlig verwirrt und verloren.«
»Dann wollen wir mal sehen, ob wir in diesem ganzen Durcheinander dich selbst wiederfinden können.«
Fast wie aufs Stichwort landete ein Blauhäher auf der Fensterbank und stolzierte dort hin und her. Papa nahm eine Handvoll Getreidekörner aus einer Blechdose, die sie wohl eigens für diesen Zweck aufbewahrte, schob das Fenster auf und hielt sie Herrn Häher hin. Ohne zu zögern und mit einer Haltung, die Demut und Dankbarkeit auszudrücken schien, stolzierte der Vogel zu ihrer Hand und fing an zu fressen.
»Nimm zum Beispiel unseren kleinen Freund hier«, sagte sie. »Die meisten Vögel wurden zum Fliegen erschaffen. An den Boden gefesselt zu sein ist für sie eine Einschränkung ihrer Fähigkeit zu fliegen, und nicht umgekehrt.« Sie schwieg einen Moment, um Mack Gelegenheit zu geben, über diesen Satz nachzudenken. »Du hingegen wurdest geschaffen, um zu lieben. Wenn du lebst, als würdest du nicht geliebt, ist das eine Einschränkung, nicht umgekehrt.«
Mack nickte, nicht so sehr aus Zustimmung, sondern als Signal, dass er wenigstens verstand und folgen konnte. Das schien doch recht einfach und einleuchtend.
»Wenn du ungeliebt lebst, ist das, als würde man einem Vogel die Flügel beschneiden und ihn so seiner Flugfähigkeit berauben. Das wünsche ich mir nun wirklich nicht für dich.«
Genau da lag der Hase im Pfeffer. Mack fühlte sich im Augenblick nicht sehr geliebt.
»Mack, seelischer Schmerz stutzt uns unsere Flügel und hält uns davon ab, zu fliegen.« Sie wartete einen Moment, damit ihre Worte wirken konnten. »Und wenn er dich über einen langen Zeitraum im Griff hat, kann es geschehen, dass du deine Fähigkeit zu fliegen fast völlig vergisst.«
Mack schwieg. Seltsamerweise war dieses Schweigen gar nicht so unangenehm. Mack betrachtete den kleinen Vogel. Der Vogel erwiderte seinen Blick. Er fragte sich, ob Vögel lächeln konnten. Herr Häher sah jedenfalls aus, als lächelte er, wenn auch vermutlich nur aus Mitgefühl.
»Ich bin nicht wie du, Mack.«
Das war nicht herablassend gemeint, sondern einfach eine Feststellung. Doch für Mack fühlte es sich an wie eine kalte Dusche.
»Ich bin Gott. Ich bin, der ich bin. Und, anders als bei dir, können meine Flügel niemals
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