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Die Hure Babylon

Die Hure Babylon

Titel: Die Hure Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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schlechte Ernte, und seine Felder liegen am Hang. Steiniger Boden. Ihn hatte es besonders getroffen. Und letzten Sommer hat er sich im Suff mit dem Nachbarn geprügelt. Der hat sich dann angeblich rächen wollen und ihm den Großteil seines Korns abgebrannt.«
    »Du hast doch eingegriffen, Oheim, oder?«
    Senher
Raol zuckte mit den Schultern. »Keiner will’s gesehen haben. Du weißt, wie die sind. Wollen es unter sich ausmachen.«
    »Was ihm an Korn geblieben war, brauchte er für die Wintersaat«, fuhr der Wachmann fort. »Der Frau und den Kindern zuliebe hat
Senher
Raol ihm die Abgabe erlassen, denn mehr als seine Viecher und etwas Kohl waren ihm nicht geblieben. Tja, und dann ist ihm auch noch die einzige Kuh verreckt. Jetzt muss die Frau im Dorf betteln gehen, damit die Kleinen etwas Milch bekommen.«
    Der Mann nahm einen Schluck aus seinem Wasserschlauch, spülte den Mund aus und spuckte den Rest ins Gras. »Man kann verstehen, dass er durchgedreht ist.«
    »Mord ist Mord«, knurrte Raol, und der Wachmann senkte den Blick, denn es war nicht ratsam, mit
Senher
Raol zu streiten. Nicht, wenn er wütend war.
    »Was ist geschehen?«, fragte Arnaut.
    »Die verfluchten Pfaffen von Cubaria!« Raol spie die Worte förmlich aus. »Wollten nicht auf ihren Zehnten verzichten. Auch keinen Aufschub gewähren. Statt mit mir zu reden, sind sie mit zwei Bewaffneten angerückt, um ihm auch noch das Letzte zu nehmen. Einen von denen hat er erschlagen, dann ist er weggelaufen.«
    »Böse Sache.«
    »Alles nur, damit der Erzbischof sich die Füße wärmen kann.«
    »Erzbischof Leveson von Narbona?«
    »Wer sonst? An ihn muss Cubaria abführen.«
    Das Kloster Cubaria lag nicht weit von Rocafort entfernt und besaß das Zehntrecht der Kirche für das nähere Umland. Nach altem Brauch behielten die Mönche davon ein Drittel, der Rest ging an die erzbischöfliche Diözese.
    »Möchte gern wissen, warum sie es noch den Zehnten nennen«, murrte Raol aufgebracht, »denn jetzt nehmen sie sich schon das Doppelte.
Per decretum episcopalis.
Eine Schande, sag ich dir.«
    Onkel Raol, sonst wenig gesprächig, war richtig in Fahrt gekommen. »Wenn sie mit dem Geld wenigstens etwas Vernünftiges anstellen würden, den Armen helfen oder Spitäler bauen. Nichts davon. Sie selbst aber leben in Saus und Braus, die hohen geistlichen Herren. Überall schießen Kirchen und Klöster aus dem Boden. Man fragt sich, wie viele heilige Faulpelze sollen die armen Bauern noch ernähren? Rom ist eine unersättliche Hure, die nach Reichtum und Macht giert. Und ihre Priester sind wie Heuschrecken, die das Land kahlfressen.«
    »Du übertreibst, Onkel. Wir nehmen doch auch unseren Ernteanteil«, sagte Arnaut.
    »Aber laufen wir etwa in Gold gekleidet umher? Ich kümmere mich wenigstens um mein Landvolk. Wenn es ihnen schlechtgeht, zu wem kommen sie dann, eh?«
    Arnaut nickte. Außerhalb der Städte herrschten keine Fürsten, sondern Kastellane wie Onkel Raol. Er blickte ins weite Tal hinab. Alles Land zwischen den beiden Bergrücken Nord und Süd gehörte der
familia
bis hinauf zu den Hängen des Bugarach, des höchsten Gipfels der Gegend, der das Tal von Westen her begrenzte. Hier war er nach dem frühen Tod seines Vaters aufgewachsen, zusammen mit seinen Geschwistern Robert und Ada, und jeder Winkel war ihm vertraut.
    Unter ihnen waren die langen Rechtecke der Äcker auszumachen. Ockerfarben und grün die brachen Felder und Wiesen, braun, wo der Winterweizen schlummerte, und an den Hängen die schwarzen, knorrigen Strünke der abgeernteten Rebstöcke. Auf einem steil aufragenden Felsen über dem Flüsschen Agli thronte die Burg Rocafort, völlig unzugänglich von der Flussseite her. Auf der anderen Seite, wo das Dorf ein gutes Stück über dem Talgrund lag, war der Hang weniger abschüssig. Dort schützte eine hohe Ringmauer die Vorburg und eine zweite die höher gelegene innere Burg mit Wehrturm und Herrenhaus. Eine wahre Festung und mit genügend Wasser in den Zisternen kaum einnehmbar.
    »Was kümmern dich die Mönche?«, sagte Arnaut. »Du bist doch Herr in diesem Tal.«
    Raol hatte noch einmal ausgiebig getrunken. Jetzt gab er den Wasserschlauch zurück.
    »Wären die Pfaffen zu mir gekommen, wäre das nicht geschehen. Aber jetzt, sosehr es mich ärgert, muss ich den armen Teufel richten, denn einen Totschlag kann ich ihm nicht durchgehen lassen.«
    Er bedeutete den Hundeführern, dass es weiterging. Begierig nahmen die Tiere die Fährte wieder auf, und die

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