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Die Hure Babylon

Die Hure Babylon

Titel: Die Hure Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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Berater von Königen, Papstmacher und, wie einige behaupten, mächtigster Mann der Christenheit, war gestern in der Stadt angekommen und hatte sich für heute Morgen ankündigen lassen. Und ich vertrödelte die Zeit mit albernem Geschwätz.
    »Jamila, das einfache blaue Samtkleid mit den silbernen Borten. Schnell!«
    Mit ihrer Hilfe zwängte ich mich in das Gewand. Hatte ich etwa schon zugenommen? Ich griff zum Spiegel. »Wie sehe ich aus? Bin ich immer noch zu bleich?«
    »Etwas von der Paste, Herrin?«
    »Um Gottes willen, keine Schminke heute. Hol mir den weißen Schleier.«
    Jamila band mir in Eile das Haar zu einem losen Knoten im Nacken. Darüber der Seidenschleier, von einem schlichten, silbernen Stirnreif gehalten.
    »Ich lasse wissen, dass du auf dem Weg bist«, sagte Anhes und marschierte aus dem Raum.
    ♦
    Auf der Treppe hinunter zum privaten Empfangssaal fing mich Peire Raimon de Narbona ab, mein Berater und engster Vertrauter. Wir nennen ihn alle nur Raimon, denn Peires gibt es zu viele, als dass man sie auseinanderhalten könnte.
    »Er will auf dem Marktplatz sprechen«, raunte er mir zu, »und Erzbischof Leveson hat es ihm zugesagt. Sie bereiten schon alles vor.«
    Ich blieb stehen. »Wie kann Leveson es wagen? Der Marktplatz gehört zu meiner Domäne.«
    Seit vierhundert Jahren befindet sich die Vizegrafschaft in der Hand meiner Familie, aber die Macht über die Stadt selbst ist seit Urzeiten geteilt. Nördlich der Via Domitia, der alten Römerstraße, die quer durch Narbona verläuft, liegt wie ein Dorn in meinem Fleisch der Herrschaftsbereich des Erzbischofs. Leveson ist ein greiser, zäher Mann, der nicht sterben will. Er hat es nie verwunden, dass nun ein Weib die Zügel der Vizegrafschaft führt, und scheint den alleinigen Sinn seiner letzten Jahre darin zu finden, mich zu ärgern und zu quälen, wo er nur kann.
    »Zweifellos will er sich bei Clairvaux einschmeicheln«, erwiderte Raimon.
    »Ich dulde keine Kriegshetze in meiner Stadt.«
    »König Louis hat sich für den Feldzug nach Outremer erklärt, und Clairvaux handelt im Auftrag des Papstes, vergiss das nicht. Du wirst ihm nicht verwehren können, zum Volk zu reden.«
    Da war er wieder, mein Alptraum. Krieg den Ungläubigen. So rief es von der Kanzel, schallte es trunken aus Tavernen und flüsterte sogar aus jedem Winkel des alten Palastgemäuers. Und ich war zu schwach, um mich dagegenzustemmen.
    »Wahrscheinlich kommen ohnehin nicht viele«, versuchte ich, mich zu beruhigen.
    Das einfache Volk hatte wenig übrig für hohe Geistliche, die in Prunk lebten und wie Fürsten herrschten, die mehr Zeit für ihre Konkubinen als für die Seelen der Gläubigen hatten. Kein Wunder, dass die Menschen in letzter Zeit den Wanderpredigern zuliefen, die Armut und Besinnung auf die reine Lehre Christi forderten und vor allem mehr Verständnis für die alltäglichen Nöte hatten.
    »Ich hoffe, du hast ihn nicht allein warten lassen.«
    »Keine Sorge. Und sei vorsichtig, wie du dich äußerst. Er hat einen Schreiber dabei, der jedes Wort notiert. Großer Gelehrter mag er sein, aber vor allem ist er ein Mann der Politik.«
    »Ich sage immer noch, was mir passt.«
    »Natürlich.« Raimon öffnete die Hintertür zum Empfangssaal, und ich trat an ihm vorbei in den Raum, wo sie meiner harrten. Felipe,
Fraire
Aimar, Abt Imbert und natürlich Clairvaux.
    Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Wahrscheinlich einen bärtigen Eiferer mit stierem Blick und verkniffenen Zügen. Einer von jenen Höllenpropheten, die von der Kanzel Gottes Zorn über uns Sünder beschwören, wenn wir nicht zu sofortiger Umkehr und Buße bereit sind.
    Stattdessen erhob sich freundlich lächelnd ein hochgewachsener, hagerer Mann reifen Alters in einfacher Mönchstracht, mit silbernem Haarkranz unter der Tonsur, tiefliegenden, dunklen Augen und buschigen Brauen. Seine Haltung war leicht gebeugt, wie so oft bei großen Menschen.
    »
Midomna
Ermengarda«, hörte ich ihn sagen, als er sich mir mit offenen Armen näherte. Er nahm meine Hand, trat einen Schritt zurück, um mich wohlwollend von Kopf bis Fuß zu betrachten.
    »Noch so jung«, sagte er. »Und so überirdisch schön, fast wie die leibliche Mutter Gottes.«
    Er schien unsere südliche
lenga romana
gut zu beherrschen, und seine tiefe, etwas rauchige Stimme entfaltete trotz des nordfränkischen Tonfalls eine Wirkung, der man sich nur schwer entziehen konnte. Ich konnte nicht verhindern, dass ich vor Verlegenheit rot wurde.
Mon

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