Die Hure Und Der Moench
dass du eines Tages dem Ruf deines Herzens folgen wirst! Ich warte auf diesen Tag.
In Liebe
Francesco«
Angelina ließ die Hand mit dem beschriebenen Blatt sinken. Sie glaubte, Francescos Stimme gehört zu haben. Oh, hätte sie doch die anderen Briefe nicht zerrissen! Ob das seine wahren Gefühle waren? Doch, der Brief sprach zu ihr, rührte etwas in ihrem Innersten an. Sie schob das Schreiben in ihren Ausschnitt. Von dem Bild hatte er gesprochen, das an einem geheimen Ort versteckt sei. So hatten es die
Fanciulli
bisher nicht entdecken können. Wie aufregend war es gewesen, das Kleid anfertigen zu lassen, es zu tragen, Seide und Atlas auf der nackten Haut zu spüren und die Augen Francescos auf ihrem Körper ruhen zu sehen! Sie dachte an den letzten Sommer, an die Küsse Francescos, die Fahrt mit dem Boot auf die Insel, an ihre Eifersucht auf Eleonore. Wie sehr hatte sie ihr Unrecht getan! Und jetzt war Eleonore tot, sie hatte ihr nicht einmal die letzte Ehre erweisen können. Es war fast, als hätte sie alle ihre Freunde im Stich gelassen.
Die Tage gingen dahin, schwere Wolken lasteten über den Bergen und Wäldern. Es regnete ununterbrochen. An einem Tag hörte Angelina Gesang von außerhalb des Klosters, als sie mit den anderen Nonnen beim Mittagessen saß. Mutter Elisa erlaubte ihnen, nach draußen zu gehen. Der Regen hatte inzwischen nachgelassen. Als Schäfer verkleidete Kinder standen vor dem Klostertor, sangen aus vollem Halse und nahmen Äpfel und Pfeffernüsse aus den Händen der Äbtissin entgegen. Angelina musste an ihre Geschwister denken. Wie lange hatte sie Rodolfo und Clementina nicht gesehen! Ob sie inzwischen gewachsen waren? Angelina wandte sich ab, damit die anderen nicht sahen, dass ihr die Tränen in den Augen standen.
|272| 34.
Die Kälte kroch durch alle Ritzen und Mauern der Stadt. Florenz lag in einer Art Winterschlaf. Francesco verbrachte die Tage mit seiner Arbeit. Das Weihnachtsfest nahte. Viele der Häuser wurden mit Stechpalmen geschmückt, die über den Türen hingen. Ein Geruch nach Mandelgebäck zog durch die Gassen. Doch die vorweihnachtliche Stimmung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Lage immer weiter zuspitzte.
Die
Fanciulli
waren nach wie vor allgegenwärtig. Die Stadt brodelte, an allen Ecken und Enden wurde gekämpft, geschimpft, standen magere Redner, die entweder Savonarolas Lehre verkündeten oder gegen ihn wetterten. Es regnete tagelang, der Arno trat über seine Ufer. Savonarola schrie es am Weihnachtstag von der Kanzel in San Marco: Diese Plage schicke der Herr, weil sich der Tag des Jüngsten Gerichtes nahe! In zwei Jahren sei die Jahrhundertwende, und wenn die Florentiner nicht endlich Buße täten, sei es vorbei mit der Herrlichkeit und allem Leben. Die Bevölkerung war zwiegespalten: Wem sollte man glauben? Viele hielten weiterhin an Savonarola fest, besuchten verstärkt seine Predigten, andere setzten sich über die Gebote des Priors hinweg, trugen offen ihren Schmuck und ihre Kleider zur Schau. Es kam zu immer mehr Gerangel und zu Prügeleien.
An einem Tag kurz vor Weihnachten bat Botticelli Francesco zu einem Gespräch unter vier Augen.
»Du weißt, wie die Lage in der Stadt ist, Francesco«, sagte er. Sein Gesicht war kummervoll gefaltet.
»Ja, das weiß ich, Sandro.«
»Die
Fanciulli
sammeln wieder ›Eitelkeiten‹ ein. Mir ist dein Bild eingefallen, Francesco, das Porträt, das du gemalt hast. Ich hatte |273| ganz vergessen dir zu sagen, dass Signorina Angelinas Mutter bei mir war, um es abzuholen.« Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Wo hast du es versteckt, Francesco?«
Francesco fühlte sich wie in einer Falle. Hätte er das Bild doch woanders hingebracht, irgendwohin, an einen Platz, an dem es niemand finden konnte! So aber glühte ihm der Kopf bei dem Gedanken, dass Botticelli nur in sein, Francescos Zimmer gehen müsste, um dort im hintersten Winkel nachzuschauen.
»Es ist mein Bild, Sandro, ich habe es gemalt«, sagte er so gelassen wie möglich. »Und es gehört Angelinas Eltern und damit auch ihr.«
»In unserer Stadt gibt es kein privates Eigentum mehr«, versetzte Botticelli. Sein Atem ging stoßweise.
»Du hast Angst, Sandro!«, sagte Francesco erstaunt. »Was ist das für eine Herrschaft, die sich auf die Angst ihrer Untertanen stützt? Das kann nicht gottgewollt sein!«
»Der Papst ist es, der Angst verbreitet! Seine Macht ist zu groß, er wird uns alle verderben. Francesco, du musst das Bild in den
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