Die Hure Und Der Moench
Bengel, der sich jetzt von den anderen der Gruppe löste und auf ihn zukam.
»Ich möchte ein Gebet für eine verstorbene Verwandte sprechen«, antwortete Francesco geistesgegenwärtig.
»Dann geht doch ins Baptisterium di San Giovanni«, sagte der Junge und wies auf den Oktonalbau gegenüber. »Dort könnt Ihr Euch direkt an unseren Schutzheiligen wenden.«
»Ich habe ihr versprochen, hier unten in der Krypta ein Gebet für sie zu sprechen«, entgegnete Francesco und blickte dem Jungen fest in die Augen. Dieser zuckte mit den Schultern und wandte sich schließlich ab.
Francesco betrat die Krypta. Sie bestand aus einem kleinen, düsteren Raum mit einem Tonnengewölbe und Säulen. An den Wänden waren Sarkophage aufgereiht. Es roch nach Moder und Staub. Francesco zog die quietschende Tür hinter sich zu. Er legte das Bild auf einen der Steinsärge und begann vorsichtig, den Deckel eines anderen zur Seite zu rücken. Immer wieder lauschte er, ob jemand käme. Schließlich hatte er den Deckel so weit beiseitegeschoben, dass er einen Blick ins Innere werfen konnte. In der dämmrigen Stille schimmerten graue Knochen. Er bekreuzigte sich hastig. Schnell nahm er das Bild und verstaute es im Sarkophag. Der Himmel und Angelina mochten ihm verzeihen, dass er einen solchen Frevel beging! Jedes Geräusch vermeidend, schob er den schweren Deckel wieder an seine Stelle. Ein Klacken kam von der Tür.
»Seid Ihr fertig mit Eurem Gebet?«, tönte die Stimme des
Fanciullo.
Francesco faltete die Hände.
»Ja, ich habe den letzten Wunsch meiner Schwester erfüllt«, sagte er. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Das Bild war gerettet! Francesco stieg die Stufen zur Piazza hinauf und begab sich schleunigst zurück zu Botticellis Werkstatt.
Der Meister stand vor seiner Staffelei und betrachtete müde das |279| kleinformatige Gemälde von der ›Mystischen Kreuzigung‹. Seine Gesellen malten Bildchen für Hausaltäre, Porträts von Florentiner Bürgerinnen mit hochgeschlossenen Kleidern, oder sie grundierten Leinwände zur weiteren Bearbeitung. Botticelli wandte sich langsam zu Francesco um.
»Hast du deinen Auftrag erfüllt?«
Francesco nickte und sah zu Boden. Die Gesellen schauten zu ihnen hinüber.
»Ich wusste, dass du unserer Sache treu bleiben würdest«, sagte Botticelli. »Jetzt sag mir aber noch einmal, was meintest du mit dem Fähnchen, das ich in den Wind hängen soll?«
»Ich meinte damit«, antwortete Francesco, »dass du immer dem Herrscher dienst und deine Kunst verkaufst, der gerade die Macht hat und den Rat der Alten stellt.«
Botticelli schaute ihn verwundert an. Seine Ohren waren rot geworden.
»Wie sollen wir denn sonst überleben?«, fragte er. »Der Wollhändler Puglese bestellt bei mir, die Vorsteher der Klöster und jeder, der sich Bilder für seine private Andacht leisten kann. Du hast sogar Aufträge aus Rom mitgebracht!«
»Das nehme ich dir gar nicht übel, Sandro«, sagte Francesco. »Ich finde es nur übertrieben, dem Mönch Savonarola so bedingungslos zu folgen.«
Die Gesellen gaben Laute des Unmuts von sich. »Nicht schon wieder!«, murmelte einer. Botticellis Gesicht verfinsterte sich, doch dann glitt ein Lächeln über sein Gesicht.
»Schau einmal, Francesco«, meinte er und wies auf sein Gemälde der mystischen Kreuzigung.
»Warum zeigst du mir das? Ich kenne doch das Bild«, bemerkte Francesco.
»Kannst du mir seine Bildsprache erläutern?«
»Das Bild scheint von Geißelung der Menschen, Reue und Errettung zu handeln«, erwiderte Francesco. Die Gesellen murmelten zustimmend.
|280| »Der Löwe symbolisiert den Hochmut«, fuhr Francesco fort. »Die schöne Frau Maria Magdalena steht für ›die schöne Frau Florenz‹, der Fuchs für Geiz und Betrug. Gottvater rettet mit seinen Engeln die Stadt.«
»Die Engel könnten die
Fanciulli
sein!«, rief einer der Gesellen. »In ihren Gewändern sehen sie aus wie Engel, und sie singen wie Cherubime.«
»Habt ihr nicht gesehen, dass aus den Engeln inzwischen kleine Teufel geworden sind?«, fuhr Francesco auf. »Sie prügeln sich mit Passanten, sorgen überall für Unruhe und man sagt, sie steckten vieles von dem, was sie in den Dom bringen sollen, in die eigenen Taschen und Beutel!«
»Die Mönche bringen sie schon wieder zur Ordnung«, erklärte Botticelli. »Nun weißt du, an was ich glaube, woran wir alle immer noch mit ganzem Herzen glauben.« Seine Augen schimmerten schon wieder verräterisch.
»Du magst deinen Glauben
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