Die Hure Und Der Moench
frommen Motiv, einer Heiligen, aus dem Rahmen. Ein warmes Gefühl durchdrang ihn, als er Angelinas Porträt ihm entgegenlächeln sah. Er schaute genauer hin. War das wirklich Angelina, so wie er sie kannte und liebte? In ihren Augen lag ein Ausdruck, den er als … irgendwie dämonisch empfand. Hatte jemand anderes diesen Ausdruck hineingemalt? Nein, er war es selbst gewesen, es war ein Teil von Angelina. Diese |276| Erkenntnis bestürzte ihn. Doch er musste sich beeilen, Botticelli wartete auf ihn. Ihm kam ein Einfall. Er durchsuchte hastig die losen Skizzen und Bilder, die er in seinem Zimmer aufbewahrte. Da war eines mit einem Motiv, das die Madonna und ihr Kind zeigte. Die Formen der Maria traten deutlich hervor. Das würde die
Fanciulli
davon überzeugen, dass es ein sündiges Bild war, ohne Angelinas Porträt zu offenbaren. Er spannte die Leinwand über Angelinas Porträt. Wie sollte er sie befestigen? Er musste etwas Leim aus der Werkstatt holen. Doch wie sollte er das Botticelli gegenüber begründen? Er dachte angestrengt nach. Von unten hörte er Botticellis Stimme: »Wo bleibst du denn? Bist du über deinem Auftrag eingeschlafen?«
»Ich komme gleich, Sandro«, rief Francesco zur offenen Tür hinaus.
Er rollte das Madonnenbild zusammen und steckte es in seinen Beutel, wickelte das Porträt in eine Decke und lief die Treppe hinunter. Botticelli warf aus dem Augenwinkel einen Blick auf das verhüllte Bild.
»Bin ich froh, dass mir das aus dem Hause kommt!«, sagte er.
Francesco verließ das Haus des Malers. Es waren nur wenige Menschen unterwegs. Wind und Regen schlugen ihm ins Gesicht, Francesco barg das Bild unter seinem Mantel. Auf dem Domplatz machte er an einem kleinen Geschäft halt und kaufte einen Becher voll Leim. Der Händler war so freundlich, ihm den Knochenleim zu erhitzen, damit er auch richtig klebte. Es stank erbärmlich. In einer windgeschützten Ecke hinter dem Laden klebte er das Madonnenbild auf den Rahmen. Durch das Fenster eines Tuchladens gewahrte er Tomasio, der ihn im gleichen Augenblick entdeckte. Tomasio schoss aus der Ladentür und verstellte Francesco den Weg.
»Francesco Rosso, Euch habe ich lange nicht gesehen! Wo haben wir uns das letzte Mal getroffen?«
Francesco war unangenehm berührt.
»In Grassina, Signor Venduti, das war Anfang des Sommers, als die Pest aufkam.«
|277| Tomasio fasste sich an die Stirn.
»Richtig, wie konnte ich nur so vergesslich sein? Es waren einige mir liebe und teure Personen anwesend. Sind sie alle wohlauf?«
Hatte er nichts von Eleonores und Matteos Tod gehört?
»Das Ehepaar Scroffa ist leider inzwischen verstorben«, sagte Francesco. Unruhig blickte er um sich.
»Das tut mir sehr leid«, sagte Tomasio. »Wie geht es Signorina Angelina?«
Francesco wurde es heiß.
»Das weiß ich nicht«, antwortete er wahrheitsgemäß.
»Was tragt Ihr denn da unter dem Mantel?«
Francesco überlegte einen Herzschlag lang. Das ging Tomasio überhaupt nichts an! Er versuchte, sich eine Ausrede zurechtzulegen.
»Es ist ein Bild von Botticelli, das ich einem Kunden überbringe«, sagte er schnell.
»Ihr Maler seid ein fleißiges Volk«, meinte Tomasio. »Darf ich Euch zu einem Glas Wein einladen?«
»Danke, Signor Venduti, ich habe es eilig.«
Mit diesen Worten setzte Francesco seinen Weg fort. Er schaute sich nicht um, sondern steuerte geradewegs auf den Dom zu. Jeder sollte sehen, dass er das Bild dorthin trug. Durch das Portal betrat er das riesige Schiff. Im Inneren befanden sich einige wenige Menschen, die vor einem Bild oder Altar beteten. In der Nähe des Hauptaltars lungerten
Fanciulli
herum; sie streiften ihn mit einem gleichgültigen Blick. Francesco trat vor eine Heiligenstatue, ging in die Knie, klemmte das Bild unter seine Achselhöhle und tat, als ob er betete. O heilige Jungfrau Maria, er war direkt in die Höhle des Löwen gegangen! Vorsichtig ließ er seinen Blick umherschweifen. Unter den Augen der
Fanciulli
würde es unmöglich sein, das Bild zu verstecken. Er stand auf und strebte der Sakristei zu. Auch hier standen
Fanciulli
, um die eingesammelten ›Eitelkeiten‹ der Florentiner Bürger zu bewachen. Francesco hatte einen Einfall. Draußen stieg er die Stufen zur alten Krypta hinunter und hoffte, dass sie |278| nicht verschlossen sein würde. Unbehelligt gelangte er zur Tür und rüttelte daran. Gott sei Dank, sie ließ sich öffnen.
»Heda, was macht Ihr dort unten?«, schrillte eine Stimme. Sie gehörte zu einem jungen
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