Die Hure Und Der Moench
vielleicht, ich brauche deine Liebe?«, höhnte sie. »Nicht nach dem, was ich von meiner Mutter erfahren habe!«
Also doch, jetzt war es heraus.
»Angelina, ich kann es dir erklären …«
»Ich will es nicht hören!«, sagte sie heftig, drehte sich um und wollte weglaufen. Er war mit zwei Sätzen bei ihr und hielt sie an den Armen fest.
»Doch, du musst es hören, und du wirst es hören«, sagte er.
»Du tust mir weh!«
»Die Wahrheit tut immer weh, Angelina.« Er hielt sie weiterhin fest umklammert, dies war seine letzte Möglichkeit, sie zu überzeugen, das wusste er. »Ich lernte deine Mutter vor etwa vier Jahren kennen, auf dem Markt. Wir sind dort immer wieder beim Ölhändler |267| aufeinandergetroffen. Bald waren wir sehr vertraut miteinander, sie erzählte mir viel aus ihrem Leben. Eines Tages kam sie mit verweintem Gesicht zu mir und erklärte, es sei für sie nicht mehr auszuhalten, was ihr Gatte mit jungen Mädchen und mit den Frauen der Adligen und Bürger trieb. Da habe ich sie getröstet, so wie sie es brauchte.«
Er ließ sie vorsichtig los. Angelinas Augen waren schreckgeweitet.
»Hat er auch mit Eleonore …«
»Ja, auch mit ihr hat dein Vater ein Verhältnis gehabt.«
»Dann war der geheimnisvolle verheiratete Mann also mein Vater.«
»Und ich fürchte, dass er ebenfalls in Gefahr ist«, setzte Francesco hinzu, »weil alle Todesfälle, die geschehen sind, mit deiner Familie zu tun hatten.«
Angelina war noch bleicher geworden. Francesco fürchtete, dass sie in Ohnmacht fallen könnte. Er nahm sie in den Arm, und sie barg ihren Kopf schluchzend an seiner Brust. So fand die beiden wenig später die Äbtissin. Sie lösten sich voneinander. Mutter Elisa legte den Arm um Angelina, führte sie fort und zwinkerte Francesco im Zurückblicken zu.
Der Schlaf wollte und wollte nicht kommen. Eine Zeitlang war Angelina wie gelähmt, starrte in die Dunkelheit, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sie haben mich alle betrogen, war das Einzige, das ihr wie ein monotoner Singsang durch den Kopf ging. Nie wieder wollte sie einen dieser Menschen sehen, lieber im Kloster vertrocknen, bis der Tod sie gnädig von ihrer Mühsal erlösen würde!
Aber allmählich schlichen sich andere Gedanken ein. Angelina wühlte nicht mehr verzweifelt in ihrem Kissen aus Stroh, sie stand nicht mehr auf, um ruhelos hin und her zu laufen. Es gab etwas, das sie sich vor sich selber zugestehen musste. Dass Francesco gekommen war, hatte sie in ihrem tiefsten Inneren beruhigt. Immer wieder hatte sie sich in der Vergangenheit gefragt, wem sie überhaupt noch trauen konnte. Ihr Vater und Eleonore hatten gesündigt, ohne |268| Zweifel. Francesco und ihre Mutter hatten Sünde auf sich geladen. Aber war das wirklich so verwerflich angesichts der Taten, die vor ihren Augen geschehen waren? Hatte nicht auch der Mönch Savonarola Schuld auf sich geladen, hatte er nicht die Massen dazu verführt, sich gegen den Papst zu stellen und ihre Exkommunikation herauszufordern? War nicht auch der Papst selbst ein Sünder? Er hatte Schuld auf sich geladen, indem er nicht das lebte, was er anderen vorschrieb.
Nur die Angst um ihrer aller Leben konnte Angelina nicht überwinden, sie saß wie ein Alp in ihrem Nacken. Was sollte sie dagegen tun? Nie hatte sie früher den Gedanken erwogen, den Schleier zu nehmen. Nein, sie konnte Francesco nicht nach Florenz folgen, so gerne sie es auch getan hätte. Sie würde hier verweilen, weiter ihr Gewissen prüfen und dann entscheiden, ob sie für immer im Kloster bleiben wollte. Und das würde sie aus freien Stücken tun, nicht, weil dieser Priester es ihr vorgeschrieben hatte.
Bald läutete die Glocke zur Matutin, und kaum war der Gottesdienst beendet, kaum war sie in ihrer Zelle entschlummert, rief die Pflicht schon zur ersten Morgenandacht. Über Nacht hatte es Frost gegeben, so dass sich Eiskristalle an der schmalen Fensteröffnung gebildet hatten. Angelina zögerte, denn sie würde erbärmlich frieren, aber sie stand auf, warf ihre Kukullaüber und ging in den Kreuzgang hinaus zum Brunnen, um sich zu waschen. Die Steine waren mit einer Eisschicht bedeckt. Trotz der Kälte war es Angelina leicht und warm zumute. Nach dem Gottesdienst trafen die Nonnen im Refektorium zusammen. Ein Feuer prasselte im Kamin und verbreitete behagliche Wärme, derweil der Wind um die Klostermauern pfiff. Statt des üblichen Hafer- oder Gerstebreis gab es heute gerührte Eier mit Schinken. Nach dem Frühstück, als alle
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