Die Hure Und Der Moench
Ein Pilger, der vorüberging, grüßte sie verwundert. Angelina vermied es, mit irgendjemandem zu sprechen. Wie sollte sie erklären, warum sie ganz allein am See entlangwanderte?
Wie hatte es nur so weit kommen können? Warum war sie eigentlich damals von zu Hause fortgegangen? Ach, wenn doch alles geblieben wäre, wie es war! Aber sie selbst hatte das zu verantworten, vor sich, vor ihrer Familie und vor Gott. Welcher Teufel hatte sie nur verblendet? Angelina schaute hinauf, durch den Wipfel des Baumes in den Himmel. Sie bat den Herrgott inbrünstig, dass sie ihr Ziel erreichen möge. Dann erhob sie sich, leidlich erquickt durch die Rast. Die Sonne stand fast im Zenit und brannte unbarmherzig nieder. Angelinas Kleid war vollkommen verschwitzt. Gegen Abend gelangte sie in das Dörfchen Borghetto, ließ sich in einer Herberge Käse und Wein reichen und schlief allein in einem Raum, der sonst wohl von Pilgern genutzt wurde. Glücklicherweise hatte sie ein wenig Geld eingesteckt, sonst hätte sie unter freiem Himmel übernachten müssen und wäre möglicherweise die Beute eines Landstreichers oder eines wilden Tieres geworden. Vor dem Einschlafen |161| vergewisserte sie sich, dass Eleonores Messer noch da war, das sie immer in einer ledernen Scheide am Gürtel trug.
Am Nachmittag des nächsten Tages kam Angelina vor den Mauern Arezzos an. Das letzte Stück hatte sie ein Bauer mit seinem Ochsenkarren mitgenommen. Die Tore waren schon geschlossen; so nahm der Bauer sie mit zu Verwandten, denen das Ziel seiner Reise galt. Die Familie half Angelina, den weiteren Weg herauszufinden. Am nächsten Morgen stand sie endlich vor einem niedrigen ockerbraunen Haus, umgeben von Weinbergen. Ihre Mutter hatte oft erzählt, dass sie aus einer umbrischen Winzerfamilie stamme. Gestern Abend war Angelina endlich wieder eingefallen, dass da noch eine Schwester gewesen war, die hier irgendwo in der Nähe leben musste. Auf der Hinreise zum Haus von Tomasios Tuchhändler hatte sie sogar einen Wegweiser gesehen und dabei gedacht: Oh, das ist der Ort, an dem meine Tante, wie hieß sie noch, lebt? Richtig, Arezzo hieß der Ort, und der Name der Tante war Bergitta.
Geranien und Glockenblumen wuchsen in Kübeln, die um das Haus herum standen. Wie würde die Tante sie wohl aufnehmen? Angelina hatte Bergitta einige Jahre nicht mehr gesehen, wusste nur noch, dass sie eine stämmige, von der Arbeit im Freien braungebrannte Frau war, die gern redete und dem Wein zusprach, aber ein goldenes Herz hatte. Ihr Mann war schon vor langer Zeit an der Auszehrung gestorben. Angelina sehnte sich danach, mit jemandem zu sprechen. Und Tante Bergitta hatte schon immer ein offenes Ohr für ihre Belange gehabt. Sie klopfte an die blau bemalte Tür. Es rührte sich nichts. Vielleicht war sie noch bei der Arbeit im Weinberg. Angelina wandte sich um. Von fern sah sie eine kleine Gestalt winken und ging auf sie zu. Tatsächlich, es war ihre Tante, mit einem grünen Kopftuch, einer ebenso farbigen Schürze und einem Gesicht, das Angelina unter vielen eingebrannten Fältchen entgegenlachte.
»Ich habe dich gleich erkannt, Angelina«, sagte Bergitta. »Du bist |162| ja eine richtig hübsche junge Frau geworden! Was führt dich aus der großen Stadt Florenz zu mir? Wo sind deine Eltern und Geschwister?«
Als sie Angelinas Zögern bemerkte, meinte sie: »Lass uns erst einmal ins Haus gehen, da kannst du erzählen.«
In der Küche machte sich Bergitta am Herd zu schaffen. Sie briet in einer eisernen Pfanne Eier, Wurst und Speck, stellte sie zusammen mit einer Kanne heißen Würzweins und einem Becher vor Angelina auf den blankgescheuerten Tisch und setzte sich ihrer Nichte gegenüber.
»Iss und trink, dann erzähle mir, was dich hierhergeführt hat.«
Angelina atmete tief aus. Sie schluckte ein Stück Speck herunter, und dann erzählt sie ihrer Tante von dem ganzen Fiasko, das am Frühlingsfest mit ihrer misslungenen Verlobung begonnen hatte.
»Hat dein Vater dich vorher nicht gefragt?«, unterbrach Bergitta.
»Nein, sie haben mich damit vollkommen überrascht.«
»Das sieht ihnen ähnlich«, schmunzelte Bergitta. »Und, hat die Verlobung stattgefunden?«
»Nein, das ist ja gerade das Merkwürdige. Eine Gruppe von
Fanciulli del Frate
kam an die Tür. Während alle dem Gespräch mit ihnen lauschten, wurde Fredi im Garten erstochen.«
»Mein Gott, wie furchtbar! Du armes Kind, meine arme Schwester Lukrezia! Habt ihr den Täter gefunden?«
»Leider nein«,
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