Die Huren des Apothekers
Beobachtung ist, vorzugsweise durch
mein Teleskop, macht mir doch das Wetter dadurch nicht mehr so große
Sorgen.«
Weinzier setzte sich gerade, schob die Brille auf
die Nasenspitze und machte ein empörtes Gesicht. »Aber Herr
Kollege! Nichts geht über die direkte Beobachtung! Wie wollt Ihr
rechtfertigen, eine so eminent wichtige Angelegenheit wie ein
Horoskop von einer bloßen Berechnung abhängig zu machen?«
Lukas zwinkerte zweimal mit den Augen und
schüttelte dann ungläubig den Kopf. Das Büchlein rutschte aus
seinen Händen auf die Tischdecke. »Herr Kollege …«
Weiter kam er nicht, denn Weinzier fiel ihm ins
Wort.
»Stellt Euch vor, ein Heerführer vertraut für
seine Truppenbewegungen auf den Stand der Planeten. Nehmt Ihr es auf
Euer Gewissen, wenn er eine Schlacht verliert, all die armen
Soldatenseelen in den Tod führt, Schande über seinen König bringt?
Nein, nein, Herr Kollege, so arbeitet niemand. Verifiziert Eure
Berechnungen durch den Augenschein, sonst unterscheidet Ihr Euch
nicht viel von einem Scharlatan!«
»Eine Berechnung ist doch viel …«
Immer heftiger redete Weinzier sich in Rage, bis
er aufsprang und sich weit über den Tisch lehnte, um Lukas mit dem
ausgestreckten Zeigefinger zu drohen. »Ein Horoskop, nur auf
Gutdünken liederlich aufs Papier geworfen, erfüllt den
Straftatbestand! Kollege, wisst Ihr denn nicht, dass Königreiche von
einer weisen Vorhersage abhängen? Pfui, welch ein Spitzbub! Komm,
Hilde, wir gehen.«
Obwohl der Mann vor Aufregung zitterte, kam seine
Wut Luzia seltsam vor. Er führte sich auf, als ob er einen Streit
herbeigesehnt habe und nun das erstbeste Thema dafür einsetzte.
Weinzier zog seine Angetraute am Ellbogen hoch,
wobei sie sich noch einen letzten Brocken Hirschkeule mit den Fingern
in den Mund stopfte, und schob sie vor sich her Richtung Ausgang.
Völlig perplex starrte Lukas ihnen hinterher.
Trine, die gerade hereinkam, um die Mädchen beim Auftragen des
Nachtischs zu dirigieren, hielt ihnen verblüfft die Tür auf und
eilte dann hinaus, laut nach Ewalt rufend.
Nachdem sie einen erstaunten Blick mit Magdalene
gewechselt hatte, ging auch Luzia in die Eingangshalle. Der Theologe
strebte noch immer mit seiner Frau im Schlepptau zur Tür, während
Ewalt mit umgebundenem Mundtuch und dem kräftig mit Fleisch
behängten Knochen der Hirschkeule in der Hand aus der Küche kam.
Mit offenem Mund betrachtete er die Gesellschaft, bis er auf die Idee
kam, dass seine Person gebraucht wurde. Der Knochen in seiner Hand
schwenkte in seine Blickrichtung und wies schließlich zum Ausgang.
Er folgte dem Rat des Knochens und rannte hinaus, während Trine die
Herrschaften mit ihren Mänteln versorgte. Das Küchenmädchen Rosa
stellte die Schüssel mit dem Nachtisch auf die Treppe und riss die
Tür auf, bevor Ewalt mit seinen Fettfingern die Klinke beschmutzte.
Nur wenige Minuten später hörte Luzia draußen
die Kutschpferde über den Weg trappeln. Bei der Vorstellung, wie der
neue Knecht sie mit einem abgefressenen Knochen lenkte, schüttelte
sie unterdrücktes Gelächter.
»Und was war das jetzt wieder?« Magdalene stand
mit in die Hüften gestemmten Fäusten hinter Lukas.
Schuldbewusst drehte ihr Bruder sich zu ihr herum
und zog den Hals ein. »Bei der unendlichen Gnade des Erlösers,
Magdalene, ich habe nicht die blasseste Ahnung. Wie kann ein Kollege
sich so sehr darüber ereifern, wenn ich den Lauf der Gestirne
berechne? Dabei geschieht ein Fehler doch viel einfacher, indem man
die Winkel misst, als wenn man sie nach der Tabelle berechnet!«
»Auch seine übermäßige Wertschätzung eines
Horoskops erscheint mir seltsam«, pflichtete Luzia bei.
Lukas ging nicht darauf ein, legte grübelnd den
Finger ans Kinn und murmelte in sich hinein. Nach einer Weile hatte
er genug innere Zwiesprache gehalten und erklärte es seiner
Schwester. »Ein Windstoß auf dem Turm reißt mir das Papier aus der
Hand und jede Notiz verwischt im Regen. So fällt es mir schwer,
später bei der Erstellung des Horoskops meine Buchstaben und Zahlen
zu entziffern. Das, Magdalene, sind die Fehlerquellen, das und die
Dunkelheit, in der ich das Winkelmaß ablesen muss. Wie viel genauer
geraten da die Berechnungen aus der Tabelle, die ich im Warmen bei
guter Beleuchtung in meiner Studierstube konsultiere!«
»Hast du ihm denn gesagt, dass die Tabelle von
Kepler aufgestellt wurde?«
»Schwester, ich selbst habe letzte Veränderungen
daran vorgenommen, um sie den hiesigen
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