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Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stöckler
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war.
    Lustwandelnd schritt Luzia durch den Garten, der
in der Nähe des Haupthauses eher einem Park ähnelte, wenn er auch
sehr durch die Karawane gelitten hatte. Aufgewühlte Rasenflächen
und verschmutzte Wege wurden eifrig durch die Bewohnerinnen der
Unterkunft von den Hinterlassenschaften der Zugtiere gereinigt und
geglättet. Jede einzelne machte Luzia Platz und knickste vor ihr, um
sofort weiterzuarbeiten, sowie sie vorbei war. Jedes Mal nickte Luzia
mit einem Lächeln und versuchte, möglichst niemanden zu behindern.
Mindestens zwei Dutzend der Mädchen huschten wie die Heinzelmännchen
herum. Erst als Luzia das Haupthaus umrundet hatte, hörte die
Geschäftigkeit um sie herum auf.
    Den Anbau konnte sie von ihrem Daheim aus nicht
sehen, darum überraschte sie der Anblick. Wenn schon das Haupthaus
sich zugeriegelt und wehrhaft gab, dann machte der Anbau den Eindruck
einer Festung. Nur wenige Fenster, die eher Schießscharten ähnelten,
wiesen fest verschlossen in den Garten. Diese Luken brauchten nicht
einmal ein Gitter, niemand hätte vermocht, sich dort
hindurchzuzwängen.
    Der Anbau lag im Norden des höheren Haupthauses,
nicht ein Lichtstrahl erhellte die düstere Fassade, das Schieferdach
dräute über den Gauben wie eine verbrannte Klaue. Ein Schauer lief
Luzia über den Rücken, als sie sich vorstellte, wie es wäre, dort
ihr Kind zu gebären. Wer an diesem Ort den Mutterleib verließ,
erblickte nicht das Licht der Welt, sondern eher Höllenfeuer, denn
solche Räume müssten ständig beleuchtet werden – und wie Luzia
die Nachbarin einschätzte, benutzte sie billige Kienspäne oder
Verwesung ausdünstende Talglichter vom Abdecker.
    Der Eingang klaffte wie ein aufgerissenes Maul in
der Fassade. Ein Vorbau schützte einen vor dem Portal Wartenden vor
den Unbillen des Wetters, doch deshalb drang noch weniger Licht bis
zum Holz der Türen, von denen nur die senkrechten Balken einen
Schimmer erhielten, womit sie wie Zähne herausstanden. Diesen
Eindruck verstärkte noch der hölzerne Baldachin des Vorbaus, der
unter anderen Umständen wie filigrane Spitze ausgesehen hätte, so
aber wie ein zerfressenes Gebiss.
    Dort hindurch also war der Mumienkasten getragen
worden, dort kamen die vielen Pakete der Medikamente her, die der
Apotheker verschickt hatte. Drei Stufen führten hinein, aber Luzia
scheute davor zurück, dieses Gebäude zu betreten. Langsam umrundete
sie den Anbau und betrachtete ihn aus allen Richtungen. Auch die
Rückseite sah nicht angenehmer aus, auch hier glänzte das Mauerwerk
durch Abwesenheit von Fenstern. Wenn der Eingang mit seinem Dach die
andere Seite noch aufgelockert hatte, dann machte die Rückseite ganz
deutlich, worum es sich bei diesem Haus handelte: um ein Gefängnis.
    So sehr nahm dieses Gefühl Luzia in Anspruch,
dass sie gar nicht bemerkte, wohin ihre Füße sie trugen. Ein
Wassertropfen traf sie ins Gesicht und weckte sie aus ihrer
Versunkenheit. Sie schaute nach oben, die Wolken hingen bleischwarz
und tief über dem Wald. Und davor … Sie zuckte zurück, als sie
sah, dass sie fast auf einem Grab stand. Direkt vor ihr erstreckte
sich ein Friedhof. Dieser Totenacker hatte nichts gemein mit dem
peinlich gepflegten Kirchhof in der Stadt, auch nicht mit allen
anderen, die sie kannte. Nur nackte Erde bedeckte die Gräber, keine
Blüte, kein Andenken brachte Schönheit an diesen trostlosen Ort,
höchstens Unkraut überwucherte die älteren Hügel, bis sie zum
Wald hin einsanken und mit dem Boden verschmolzen, ohne eine Spur der
Verblichenen zurückzulassen. So viele! Wie lange betrieb Frau
Mechthild schon ihren Unterschlupf, dass sie so viele der Mädchen zu
Grabe getragen hatte?
    Unbemerkt durchnässte der Regen Luzias Haube,
jetzt rannen die Tropfen ihre Stirn entlang über die Wangen und
versickerten in ihrem Kragen. Sie fröstelte. Energisch riss sie sich
von dem Anblick los, aber bevor sie sich herumdrehte, bemerkte sie
noch die kleine Abteilung, in der winzige Grabhügel fast unter der
Hecke verschwanden. Ihre Hand stahl sich unter die Schürze auf ihren
Leib, sie liebkoste die sanfte Rundung. Nein, was auch immer
passierte, weder sie noch ihr Kind würden jemals auf diesem
Leichenfeld ruhen. Hinter dem Schloss, wo der Wald begann, gab es
einen kleinen, von einer niedrigen Mauer umschlossenen Friedhof, auf
dem Lukas‘ Familie eine Gruft besaß. Direkt darüber erstreckten
sich die dichten Äste einer mächtigen Eiche, als ob sie das Grab
behüten wollten. Dort würde sie die

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