Die Huren des Apothekers
Haupt,
aber jede von ihnen ersehnte nur das Ende der Ermahnung.
Ohne das Gesicht zu heben, suchte Elße mit den
Augen Jonata. Die letzten Tage waren sie nach dem Nachtessen
gemeinsam zur Kapelle gegangen, um auch gemeinsam ins Bett zu
schlüpfen. Ob sie ihrer Freundin das schreckliche Abenteuer der
letzten Nacht beichten sollte? Diese Ereignisse lagen Elße schwer
auf der Seele und vielleicht erleichterte sie eine Beichte, und wenn
es auch nur vor einer Freundin war.
»… danken wir dem Herrn für die Freundlichkeit
seines treuen Dieners, des Knechts Endres, der unvermutet in einer
dringenden Angelegenheit seinen Dienst quittieren musste.« Die Worte
Mechthilds bewirkten, dass Elßes Eingeweide sich zusammenzogen. Auf
einmal lag die Grütze wie ein Stein in ihrem Magen. Hatten sie ihn
gefunden? Nein, danach klang es nicht. Man musste ihn doch suchen!
Aber auch das sagte Mechthilds Rede nicht aus. Es hörte sich eher so
an, als ob es an der Tagesordnung sei, dass ein Knecht sang- und
klanglos den Dienst verließ, ohne Bescheid zu geben, wohin er
verschwand.
Elße ertappte sich, wie sie mit offenem Mund
Mechthild anstarrte und ihre Worte durch sich hindurch fließen ließ,
ohne sie wahrzunehmen. Kurz trafen sich ihre Blicke und Elße ließ
sofort den Kopf sinken, hoffte, dass die Herrin nicht bemerkt hatte,
wie sehr ihre Worte Elße aufwühlten. Leise murmelte sie die Worte
des Vaterunsers mit, die nicht mehr ganz so fremd klangen wie zu
ihrer Ankunft im protestantischen Marburg. »Vergib uns unsere Schuld
…« Elßes Schuld war es, dass Endres jetzt im Wald verscharrt lag.
»… so wie auch wir vergeben unseren Schuldigern …« Konnte sie
Endres vergeben? Dass er ihr, als seiner Schutzbefohlenen, Gewalt
hatte antun wollen? Sie als Instrument seiner Wollust missbrauchen?
Konnte sie dem Marodeur vergeben, der diese Lawine des Elends über
Elße losgetreten hatte?
Das Glöcklein verklang, ein vielstimmiges »Amen«
schallte durch die Kapelle, freudig, weil es das Ende des
Gottesdienstes bedeutete. Röcke raschelten, Holzschuhe klapperten,
als die Mädchen sich aufrichteten und noch einen Augenblick mit
gesenktem Antlitz stehen blieben, bis Frau Mechthild durch ihren
eigenen Aufbruch signalisierte, dass sie den Schlafsaal aufsuchen
durften. Elße hob den Kopf und stellte sich auf Zehenspitzen, um
nach Jonata zu sehen. Vergeblich suchte sie den blonden Schopf der
Freundin. Einige hatten den Raum verlassen, ohne dass Elße sie
begutachten konnte.
Um kein Aufsehen zu erregen, reihte sie sich in
den Strom der jungen Frauen ein. Spätestens auf der Pritsche würde
sie die Freundin treffen.
»Kein Wort mehr über die Rote«, raunte eines
der Mädchen vor ihr ihrer Begleiterin zu.
»Wieso, was hast du?«
»Auf keinen Fall Lust, mir Ärger einzuhandeln.
Frau Mechthild kreischt wie eine Furie, wenn sie Gerede darüber
hört. Die ärgste der Klatschbasen hat Jerg abgeholt, damit sie die
verdiente Strafe erhält.«
Böses schwante Elße. Unauffällig schob sie sich
näher an die beiden. »Wer wurde abgeholt?«, flüsterte sie.
Eine drehte demonstrativ den Kopf weg, aber die
andere warf Elße einen scheuen Blick zu. »Jonata«, hauchte sie.
Wie vom Schlag gerührt blieb Elße stehen. Eine
Schneise bildete sich um sie, weil die Nachkommenden ihr auswichen,
einige Male wurde sie angerempelt, bis sie ihre Füße zwang, den
kalten Steinboden entlangzuschlurfen. Das Getuschel der Mädchen
drang zu ihr wie durch einen Schleier und schien sie nicht zu
betreffen. Schließlich blieb sie vor ihrem Bett stehen, als ob sie
nicht wüsste, was sie hier anfangen solle. Erst nach einer Weile
streifte sie Schürze und Oberkleid ab, um sich in die eisige Kuhle
zu legen. Sie schlang die Decke um sich herum, musste sie nicht
teilen, trotzdem fühlte sie sich nackt. Jonata war abgeholt worden.
Schon oft hatte Elße davon gehört, dass die
Knechte sich besonders aufsässige Mädchen im Anbau vornahmen und
sie zur Einsicht brachten, wozu sie manches Mal mehrere Tage
brauchten. Was genau dort geschah, wusste niemand, aber die wildesten
Gerüchte schwirrten herum. Die betreffenden Mädchen schwiegen
beharrlich, verhüllten sorgfältig ihren Körper, sprachen manchmal
nicht mehr ein einziges Wort, bis sie Frau Mechthilds gastliche
Hallen endgültig verließen. Was Schlimmes mochte Jonata verbrochen
haben, um das zu verdienen?
Wie ein Messer schnitt das schlechte Gewissen in
Elßes Leib. Ob Jonatas Verschwinden damit zu tun hatte, dass
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