Die Huren des Apothekers
Lukas hatte sie alles erzählt,
was sie an Überlieferungen des fahrenden Volkes kannte.
»Wir sollten Mitleid mit ihnen haben«, sagte sie
leise.
Lukas‘ Blick streifte ihren Leib, der sich unter
dem dünnen Nachthemd vorwölbte. Die Härte verschwand aus seinem
Gesicht, nach kurzer Verwirrung lächelte er sie an. »Sicher,
Liebes. Verzeih mir, dass ich gedankenlos das Geschwätz der groben
Kerle nachplappere. Ich bewundere Frau Mechthild, die sich eine
solche Last aufbürdet. Wir alle müssen ihr dankbar sein für die
Opfer, die sie bringt.«
»Wohltätigkeit ist Tradition in Marburg«,
pflichtete Magdalene ihm bei und schob Luzia in seine Arme. »Viele
Damen der Gesellschaft ahmen das Beispiel der Heiligen Elisabeth
nach, die sich damals um die Aussätzigen kümmerte.«
»Heute kümmern sich die Henker darum«, ergänzte
Trine spitz. Luzia erschrak.
»Gibt es denn ein Leprosorium in Marburg?«
Mit einem rauen Lachen fasste Lukas seine Frau am
Arm und führte sie zurück ins Schlafzimmer. »Du solltest dich
nicht sorgen. Im Elisabeth-Hospital werden keine Ansteckenden
aufgenommen. Deshalb erwähnt Trine den Henker, der weist solche aus
der Stadt. Und morgen früh werde ich persönlich der Apothekerin
meine Aufwartung machen und mich erkundigen, ob wir mit dergleichen
Störungen öfter zu rechnen haben.«
»Früh?«, spöttelte Luzia, obgleich ihr gar
nicht nach Lachen zumute war. Hier, auf den Ländereien seiner
Vorfahren, kehrte Lukas für ihren Geschmack zu oft den Gutsherren
heraus. Manchmal suchte sie vergebens den Freidenker in ihm, der
furchtlos gegen die Obrigkeit eintrat.
Er lächelte fast wieder sein Jungenlächeln.
»Früh für mich. Liebes, ich muss in drei Tagen das Horoskop für
den Landgraf fertiggestellt haben und das Wetter schiebt mir Wolken
vor die Planeten. Verzeih mir, dass ich dich allein im Kalten liegen
lasse. Wie gerne würde ich …«
Ja, sicher, Luzia auch. Sie sehnte sich nach
seinen kundigen Händen auf ihrem Leib, seine Lippen an ihren Brüsten
und der Erfüllung, die er ihr zu bringen vermochte. Schon sein
Anblick ließ ihren Schoß prickeln. »Kümmere dich nicht um mich.
Es geht mir gut und Trine bringt mir jeden Abend eine Wärmflasche.«
»Und das bedeutet genügend Ersatz?« Seine
Lippen hauchten einen Kuss auf ihren Mund, dann drehte er sich herum
und schloss leise die Tür hinter sich. Luzia seufzte. In den
Sommernächten hatte sie gerne bei ihm auf dem Turm gesessen, das
Ticken des mächtigen Uhrwerks unter ihrem Sitzplatz gefühlt, sich
die Sterne zeigen lassen, den Lauf der Planeten bestimmt und die
Konstellationen gesucht, aber der Winter nahte und sie schlotterte
dort oben vor Kälte, die ihr in den Rücken kroch und das Kreuz
zerriss. Lukas tat recht daran, ihr diese nächtlichen Eskapaden zu
verbieten.
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Eine winzige Hand kitzelte die Innenseite von
Elßes Bauch, ein Fuß trat kräftig aus. Mit einem Lächeln strich
sie über ihre Schürze. Ein Sohn, mit Sicherheit. Wenn er jetzt
schon so kräftig boxte, würde er ihr später die größte Freude
bereiten.
»Arbeite, du Hure!«, schreckte sie die barsche
Stimme der Apothekerin aus ihren Gedanken. Eilends beugte Elße sich
wieder über die Stufen und schrubbte den Steinboden, bis die Seife
schäumte. Die Herrin schürzte die Röcke und stolzierte an ihr
vorbei, während sie rechts und links Beleidigungen austeilte. Lieber
das als wieder Schläge, durchzuckte der Gedanke Elßes Kopf. Woher
nur nahm diese Hexe das Recht, Elße eine Hure zu schimpfen? Sie rief
sich zum Trost die Worte ihrer Mutter ins Gedächtnis: Er hat dir
Gewalt angetan, aber Gott gab dir dafür das Geschenk eines neuen
Lebens.
Doch der Marodeur war nicht die einzige
Heimsuchung für Elße geblieben. Der plötzliche Tod ihrer Mutter
hatte sie zum Spielball des Vetters gemacht, der sie aus dem Haus
trieb. Die ersten Wochen konnte sie sich wenigstens noch als
Schankmagd verdingen, doch nun, kurz vor der Niederkunft, blieb ihr
nur Frau Mechthilds Zuflucht, in der sie ständig als Hure bezeichnet
wurde. Nirgendwo sonst hatte sie so hart für so schlechtes Essen
arbeiten müssen.
Diesmal ignorierte sie die Bewegungen ihres Kindes
und kratzte hektisch mit einem Stöckchen über die Fuge, um auch den
letzten Krümel Moos von der Eingangstreppe zu entfernen. Perfekt.
Nicht ein Sandkorn würden die misstrauischen Augen der Apothekerin
entdecken. Auf die Arme gestützt richtete sie sich auf, schüttete
den Rest der Seifenlauge über die Stufen und
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