Die Huren des Apothekers
Gehilfen war es allerdings bei dem schwarzen Geschwür geblieben. Eine kleine Narbe am Unterarm erinnerte ihn immer daran, vorsichtig mit Kadavern zu sein. Allerdings wusste er, dass die Krankheit, einmal überstanden, nie wieder auftrat, genau wie die Pocken oder die Pest. Dumm nur für denjenigen, der eine Seuche überstand und dann der nächsten anheimfiel.
»Willst du auch die Riemen aufbewahren?«
Wendelin kam mit einem Bündel Schnüre herein, die bestialisch nach Verwesung stanken. Frank zog den Aufschlag seiner Jacke vor die Nase und scheuchte den Burschen hinaus. »Vergrab sie vorne bei den Büschen! Und mach ein tiefes Loch, damit die Hunde sie nicht herausscharren und fressen.« Er hatte keine Lust, auch deren Kadaver fortschaffen zu müssen, weil sich die Riemen um ihre Gedärme schlangen und ihnen vielleicht einen schmerzhaften Todeskrampf bescherten, der sie zu allem noch toll werden ließ.
Sorgfältig hüllte er sein Schwert wieder in die Lumpen und verstaute es unter dem Bett, wo Wendelin es hervorgezogen hatte. Er sollte besser kontrollieren, dass der Bursche tatsächlich tief genug grub.
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Das Mieder zwickte und die dünnen Sohlen der Brokatschuhe ließen Luzia jeden Stein des sorgfältig gekiesten Weges spüren. Für die paar Schritte den Kutscher bemühen – Luzia hatte ihren Mann ausgelacht, doch die letzten Stufen der Eingangstreppe des Nachbarhauses ließen ihren Atem schwer werden. Auf jeder Seite standen fünf Mädchen und knicksten wie vor einem Königspalast, als sie an der Seite ihres Mannes, gefolgt von Magdalene, durch das breite Portal trat.
Mit weit ausgebreiteten Armen empfing Frau Mechthild sie und zog Luzia an ihren flachgeschnürten Busen. Der Hausherr schüttelte ausgiebig mit Lukas die Hände und küsste Luzia und Magdalene formell die Fingerspitzen. So hager seine Gestalt auch in dem schwarzen Wams wirkte, spürte Luzia doch Kraft in den knochigen Fingern. Seine teure Perücke verströmte einen muffigen Geruch, den auch das üppig aufgetragene Parfüm seiner Gemahlin nicht übertünchen konnte. Warum fühlte Luzia sich hier nicht wohl, wo der Apotheker und seine Frau doch augenscheinlich alles aufbaten, die neuen Nachbarn zu beeindrucken? Kaum kam Luzia dazu, sich in der blitzsauberen Eingangshalle umzuschauen, da ergriff Frau Mechthild schon ihren Arm und führte sie in den Salon. Wie einer Siechen stützte die Apothekerin Luzias Rücken und bugsierte sie auf einen der zierlichen, mit Brokat gepolsterten Stühle. Noch nie hatte Luzia es leiden können, wenn jemand sie behandelte wie ein krankes Kind. Am liebsten wäre sie fortgelaufen. Eines der Hausmädchen stellte einen kostbaren Glaspokal vor Luzia, dem der Duft von gewürztem Wein entströmte. Erleichtert trank sie einen großen Schluck, um Geduld zu bewahren.
Pausenlos plauderte die Hausherrin, erwartete gar keine Antwort von Luzia, die sich von ihrer Fürsorge überrumpelt fühlte. Ja, dachten denn alle Frauen, eine Schwangere unterhalten zu müssen? Zum Glück setzte Magdalene sich neben sie.
»… hatten wir schon befürchtet, dass wir auf dem Berg allein bleiben würden, wo doch das Herrenhaus so prächtig wiederaufgebaut war. › Eines Tages ‹ , pflegte mein Gemahl zu sagen, › liebe Mechthild, wirst du es erleben, dass die Turmuhr aufhört zu schlagen und niemand sie wieder in Gang bringt. ‹ Dabei erinnert uns der Mechanismus als Einziges daran, wie nahe wir der Zivilisation wohnen. Sonst umgibt mich hier oben nur Wald und Wildnis, wobei ich die meisten der Mädchen, denen ich Wohltat erweise, mit Verlaub zu letzterem zählen muss.«
»Oh ja«, warf Magdalene ein, »welch gottesfürchtiges Werk! Ich bewundere dich, Frau Mechthild, um deine Großzügigkeit. Diese Uneigennützigkeit brächte ich nicht auf.«
»Ach«, seufzte die Nachbarin, »manchmal plage ich mich arg damit. Die gefallenen Mädchen kommen oft mit allem anderen als Demut. Ja, einige wurden fortgejagt - verstoßen aus gutem Haus, mit Schlägen davongetrieben. Diese danken für die Aufnahme. Doch sowie sie sich erholt haben von ihrer oft langen Anreise, vergessen sie, dass warme Betten nicht vom Himmel fallen. Sieh dich um, Jungfer Magdalena, wir bewirtschaften ein stattliches Anwesen. Die Stallungen gehören dazu, der große Garten, sogar Felder am Hang. Wir sind fast so unabhängig von äußerer Hilfe wie ein Kloster. Dazu passen fleißige Hände, die doch jedes der Mädchen besitzen sollte. Nur – verdienen sie ihren Unterhalt?
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