Die Huren des Apothekers
vielzitierten Räuber im Wald machten Luzia Sorgen, auch die Knechte der Nachbarin, deren Schutz sie sich eigentlich anvertrauen sollte. Wie gut, dass sie jetzt einen eigenen Kutscher mit wehrhaften Fäusten beschäftigten.
Ein Mädchen trat ein, knickste und meldete das Abendessen. Beim Aufstehen hielt Mechthild Luzia den Stuhl und fasste sie wieder am Arm, als ob Luzia nicht allein zurechtkäme. Magdalene bemutterte sie schon mehr, als Luzia guthieß, aber wie Mechthild sich aufführte, ertrug sie kaum, vor allem, weil sie dabei auch noch gute Miene zeigen musste. Vielleicht lag es daran, dass Mechthild nie eigene Kinder, nie eine Schwangerschaft erfahren hatte und daher auch nicht wusste, wie man sich dabei fühlte, wozu man als werdende Mutter in der Lage war und wozu nicht. Vor allem wusste sie sicher auch nicht, dass es keinen Unterschied in der Befindlichkeit einer Edelfrau und einer Gemeinen gab. Denn dass Luzias Papiere von ihrem Onkel nicht von der Obrigkeit geschrieben waren, ahnte niemand. Lukas argwöhnte es, hatte aber nie nachgefragt.
Der Speisesaal, in den Mechthild sie führte, verschlug Luzia die Sprache. So etwas hätte sie im Landgrafenschloss vermutet, aber nicht in einem Haus im Wald. Unzählige Wachslichter brachten Kristalllüster zum Glitzern, die untergehende Sonne warf durch Bleiverglasungen bunte Funken auf polierte Holzböden. Auf einmal kam ihr der eigene Hausstand gar nicht mehr so herrschaftlich vor. Tischwäsche aus feinstem Leinen strahlte in dem vielfältigen Licht so hell, dass Luzia sich versucht sah, die Hand vor die Augen zu legen. So sehr Magdalene sich um gute Wäscherinnen bemühte, etwas Derartiges konnte sie nicht vorweisen.
Fünf Plätze waren an der üppig mit einem prächtigen Aufsatz geschmückten Tafel gedeckt, für jeden gab es einen Teller aus dünnem Porzellan. Rosen in lebendigen Farben prunkten darauf, die gleichen, die in Schalen auf dem Tisch trieben, als ob der Künstler ebendie als Vorlage verwendet hatte. Neben den Tellern standen Glaspokale, es gab sogar Besteck.
Eine Weile überlegte sie, wie Magdalene bei der Gegeneinladung dies alles zu übertreffen gedachte. Wahrscheinlich würde sie sich für einen Tag Arbeitskräfte aus der Stadt kommen lassen, aber allein schon ihre Küche reichte nicht aus, all diese Köstlichkeiten gleichzeitig zu bereiten.
Der Apotheker schritt auf Luzia zu und hielt ihr den Stuhl, damit sie ihren Platz einnahm. Lukas, der sich schon halb auf dem Weg zu ihr befunden hatte, ließ ihm den Vortritt und half seiner Schwester auf den Stuhl neben Luzia. Als er fertig war, hatte Mechthild sich schon zwischen ihn und Magdalene gesetzt. Der Platz auf Luzias anderer Seite blieb für Herrn Apotheker Nungässer. Kaum saßen sie alle, öffneten sich die Türen und Mädchen in einer endlos erscheinenden Prozession traten mit Platten und Schüsseln ein. Es gab Wein aus Kristallkrügen, die ihn golden funkeln ließen, in Honig gesottenes Geflügel, gegrillten Schweinebraten und gekochtes Rindfleisch. Die mannigfaltigen aufgetragenen Gemüse zählte Luzia nicht mehr, die Arten von Hülsenfrüchten, auch Wurzeln der unterschiedlichsten Sorten und natürlich Blattgemüse. Weißes Brot, so zart, dass es auf der Zunge zerging, half, die zu jedem Fleisch gereichten Soßen aufzutunken. Allein der Anblick machte Luzia satt. Sie schaffte es nicht, von allem auch nur zu kosten.
»Wenn die leiblichen Genüsse auf die Säfte des Körpers abgestimmt werden, braucht es keine Medikamente mehr«, begann der Apotheker die Plauderei.
»Dann wäre deine Profession unnötig?« Luzia lächelte zu ihrem Scherz.
»Solange ein jeder sich mit Vernunft ernährte. Nur leider – oder zu meinem Vorteil – unternimmt das nicht die Mehrheit. So bekommen die Herren Doktoren reichlich zu tun und auch ich, denn sie schicken nach mir, wenn sie dem Patienten Drogen und Medikamente verschreiben.«
»Ja, ich hörte, dass man bei dir die besten Heilmittel bekommt, begonnen bei den heimischen Heilkräutern bis zu den Spezereien des Orients.«
Unverhohlener Stolz trat in das Gesicht des Apothekers. »Da hörtest du richtig, Frau Luzia. Aus meinen Händen erhältst du nur die wertvollsten Ingredienzen. Meine Handelsverbindungen reichen bis tief in den Orient. Die feinsten Heilerden beziehe ich als Terra sigillata direkt aus Lemnos, nicht den billigen Bolus rubricae aus Armenien; Balsam, Myrrhe und Weihrauch biete ich an, wie einst die heiligen drei Könige; veredelte
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