Die Huren des Apothekers
Heilkräuter; Salben, Tinkturen und Pillen - den gesamten Canon medicinae führe ich und noch viel mehr. Aber das Geheimnis unverwüstlicher Gesundheit und eines langen Lebens birgt …«, er beugte sich dicht zu ihr und hauchte in ihr Ohr, »… Mumia vera.«
Luzia musste an sich halten, um nicht vor seinem weingeschwängerten Atem zurückzuweichen. Stattdessen trank auch sie einen Schluck, um den Geruch besser aushalten zu können. »Mumia?«, fragte sie nach.
»Das allergrößte Geheimnis des Orients! Im Altertum, noch vor dem Diluvium, beherrschten die ägyptischen Pharaonen das Geheimnis des ewigen Lebens. Wenn sie der Gottesgabe müde wurden, betteten sie sich in goldene Sarkophage und ruhten, bis ihre Diener ihnen so erstaunliche Neuigkeiten berichteten, dass sie ihren Todesschlaf verließen und sich Neugier und Wollust hingaben. Gott strafte dieses lästerliche Verhalten mit der Sintflut und ließ sie nicht mehr aufwachen. Doch der ergebene Christ kann aus ihren Überbleibseln die ultimative Medizin für Wohlbefinden und Langlebigkeit extrahieren.«
Gegen ihren Willen faszinierten Luzia die Worte des Apothekers, wenn sie ihr auch Unbehagen verursachten. »Dann stimmt es tatsächlich? Es gibt einen Weg, unsterblich zu werden?«
»Nun, Unsterblichkeit ist ein großes Wort. Wege, das Leben in robuster Gesundheit zu verlängern, gibt es viele.«
Auf einmal fühlte Luzia einen eisigen Hauch auf ihrem Rücken, als sie an ihre Erlebnisse im Folterkeller des Inquisitors dachte. »Bisher hielt ich die Gerüchte um magische Lebensverlängerung für Aberglaube.«
»Viele der Gerüchte fallen durchaus in diese Kategorie. Aber, Frau Nachbarin, etwas Wahres ist immer dran! Wenn man einmal gesehen hat, in welcher Perfektion die Überreste der Pharaonen erhalten sind, schmilzt die größte Skepsis dahin. Jede Pore, jedes Mal erkennt der erfahrene Beobachter, kein Haar ging verloren. Die Substanz der Unsterblichkeit drang in jede Faser dieser Wesen.«
»Und wie wird sie extrahiert?«
Wichtigtuerisch lehnte Nungässer sich zurück. »Nun, Frau Luzia, dies bleibt mein Geheimnis. Auch die Erkenntnisse deines Gemahls sind nicht bestimmt für die Ohren eines Laien, genauso wie die Wissenschaft der Pharmazie nur in die Hände eines Experten gehört. Im fernen Land Ägypten sind nur noch wenige der wertvollen Mumien verborgen. Das kostbare Sublimat wäre für immer verloren, wenn Stümper sich daran versuchten. Nein, edle Dame, ich veräußere dir gerne die Substanz, aber die Herstellung lasse mich selbst bewältigen. Schon am morgigen Tag erwarte ich eine Karawane aus den Tiefen des Orients, die mir das Wertvollste liefert, was das Abendland dorther bezieht: eine Mumie.«
»Mir war nicht bewusst, welch ein kostbares Gut so ein verschrumpelte Etwas darstellt«, mischte Magdalene sich ein.
»Oh«, erläuterte Nungässer, »aus einer Mumie von zehn, zwölf Pfund verwerfe ich drei, vier Pfund nutzlose Knochen, die ich höchstens nach dem Sengen zu einem Antidiarrhoikum verarbeiten kann, aber die übrige Substanz ergibt dreißig Pfund pulverisierte mumia vera aegyptiaca.«
Jetzt glaubte Luzia endgültig nichts mehr. »Wundersame Vermehrung?«, fragte sie und konnte die Skepsis nicht aus ihren Worten heraushalten.
»In der Tat«, ließ der Apotheker sich nicht beirren. »Gleich morgen Abend werde ich in meinem Labor beginnen, das Wunderwerk zu vollbringen. Genau wie Reliquien des Herrn und der Heiligen gehorchen die Gebeine der antediluvianischen Mumien anderen Naturgesetzen als die Substanz des profanen Lebens. Der Leib des Herrn entsteht aus der Verbindung einer gewöhnlichen Oblate mit dem Heiligen Geist, das Blut des Herrn bildet der Heilige Geist aus Rebenwein: Das sollte dem Gläubigen Beweis genug für die Substanzialisierung des Heilmittels aus dem altertümlichen Artefakt sein.«
Blasphemie! Luzia biss sich auf die Lippen, um dieses Wort nicht herauszuschreien. Ein Krieg war entbrannt wegen der Frage, ob Blut und Leib des Herrn buchstäblich oder symbolisch beim Abendmahl verteilt wurden, und auch nach Jahrzehnten Streit und zehntausenden Toten waren sich bedeutende Gelehrte nicht sicher darüber. Doch dass der Heilige Geist nicht für den Gewinn eines Apothekers intervenierte, dessen war Luzia sich gewiss. Genauso könnte er behaupten, der heilige Petrus persönlich würde ihm im See Genezareth die Flecken aus seinen Hemden waschen. Ihr Gesicht brannte vor unterdrücktem Zorn. Nein Luzia , beschwor sie sich, sage
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