Die Huren des Apothekers
blieb, und als was sonst sollte eine so vornehme Dame Elße betrachten?
Sie zog ihr Tuch dichter um sich herum und beschleunigte ihre Schritte noch etwas, bis sie die Hecke hinter den Kindergräbern erreicht hatte. Unter diesen Stein dort wollte sie die Botschaft für den Mann legen. Weder Aurelie noch Marie wussten etwas von seiner Bärbel, und Jonata konnte sie erst heute Nacht im Bett fragen. Was sollte sie auf das Papier schreiben? Und vor allem – wie ein Blitz durchzuckte die Frage Elße und blieb als glühender Klumpen in ihrem Magen stecken – womit sollte sie schreiben?
Hilflos sah sie sich um. Was wollte sie hier finden? Ein Tintenfass und eine Feder? Lächerlich. Nun, vielleicht eine Feder, das wäre möglich, wenn eine Katze zufällig einen Vogel vor den Hecken gerissen hatte und die Überreste noch da lagen. Was erwartete sie, ein Wunder? Sie würde stundenlang herumirren, bevor sie das fand. Und durch die Hecken käme sie auch nicht so schnell hindurch, das Gebüsch bestand aus Schwarzdorn und sie würde sich die Kleider zerreißen und den ganzen Körper zerkratzen, wenn sie eine Abkürzung dort hindurch suchte. Schwarzdorn? Der magische Strauch der Heiden. Zauberstäbe schnitzten Hexen daraus. Elße trat näher und brach einen dünnen Zweig ab. Wie erwartet löste er sich mit einer ausgezogenen Spitze aus Rinde von dem Ast. Sie grinste. Wenn man sie Hure schimpfte, warum nicht auch Hexe? Jetzt bereitete sie sich einen ganz besonderen Zauberstab. Direkt neben der Bruchstelle stach ein langer Dorn in ihre Richtung. Elße suchte sich einen flachen Stein aus dem Haufen, wischte ihn mit der Hand sauber und legte das Papier darauf. Sie presste ihren linken Ringfinger auf den Dorn, bis nach dem scharfen Schmerz Blut hervortrat. Das nahm sie mit den Fasern des Zweiges auf und malte sorgfältig »Morgen« auf das Papier. Fast zu spät dachte sie daran, die Schrift mit ihrem Körper vor dem Regen zu schützen, damit sie nicht verschwamm. Es dauerte einige Zeit, bis die Buchstaben trocken waren, dann faltete sie den Zettel zusammen und legte ihn an die vereinbarte Stelle. Gerne hätte sie dem Mann früher geholfen, aber da er seine Bärbel schon so lange suchte, würde er auch noch einen Tag warten.
Als ob der Stein, unter dem sie die Botschaft verbarg, ihr vom Herzen gefallen sei, rannte Elße erleichtert um den Anbau herum zum Dienstboteneingang des Haupthauses. Gertrude stand schon an der Tür und hielt den Schlüssel in der Hand.
»Die Sonne ist noch nicht untergegangen«, erinnerte Elße sie und deutete auf das trübe Halbdunkel im Wald.
»Weißt du’s?«, erwiderte Gertrude grimmig und drückte die Tür hinter Elße ins Schloss, dann verriegelte sie sorgfältig. Die Köchin arbeitete wohl als Einzige freiwillig bei Frau Mechthild. Sowie die Hausherrin in Sicht kam, war Gertrude streng, doch Elße vermutete, dass sie im Innersten einen guten Kern trug. Nicht durch Zufall hatte Jonata sie eines Morgens erwischt, wie sie das gute Olivenöl für den Frühstücksbrei der Mädchen verwendete, welches doch eigentlich dem Herrn vorbehalten war.
Nach dem zarten Mehlbrei im Nachbarhaus roch Gertrudes Grütze wenig appetitlich, aber Elße zwang sich trotzdem dazu, ihren Napf leerzuessen. Dazu musste sie sich beeilen, denn die anderen Mädchen brachen schon auf zum Nachtgebet in der Kapelle. Sehnsüchtig warf sie einen Blick durch das Guckfenster der Küchentür hinaus, denn sie hätte zu gerne dem Fremden etwas mehr zu ihrer kargen Botschaft mitgeteilt, aber mit den primitiven Mitteln konnte sie einfach nicht mehr schreiben. Hatte sie sich eigentlich gebührend bedankt? Der Mann hatte sie gerettet, vielleicht sogar aus Lebensgefahr befreit, da gehörte es sich, mehr als ein schlichtes »Danke« zu sagen. Das war nicht nur eine Frage des Anstands, Elße hatte das Bedürfnis dazu.
Als Letzte betrat Elße die Kapelle, jedoch dicht an den Hacken des Mädchens vor ihr. Auf einen Wink von Frau Mechthild schloss sie hinter sich die Tür und suchte sich gleich einen Platz zwischen den anderen, wobei sie sich bemühte, die sorgfältig aufgestellten Reihen nicht durcheinander zu bringen. Ihre Knie schmerzten, als sie sich auf den Steinboden kniete, und die Kälte zog durch ihre Knochen. Der gemurmelten Predigt von Frau Mechthild lauschte sie nicht, sie kannte sie nur allzu gut. Es ging um Huren und Sünderinnen, denen der Herr doch vergab, wenn sie nur genügend bereuten. Jedes der Mädchen senkte bußfertig ihr
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